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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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tückisch und schön anzu sehen war. Die oberen Stockwerke des Sears Tower waren ver schwunden, von dem grauweißen Leichentuch verschluckt, das über der Stadt hing. All das sah ich, als ich auf dem Stevenson Expressway in die Stadt hineinfuhr. Es war später Vormittag, und ich vermutete, dass es noch vor dem Abend wieder schneien würde. Hier war es sogar noch kälter als in Denver.
    Ich war seit drei Jahren nicht mehr in Chicago gewesen. Ich hatte Anfang der achtziger Jahre dort Journalistik studiert und dabei die Stadt lieben gelernt. Danach hatte ich gehofft, bleiben und bei einer der Lokalzeitungen arbeiten zu können, aber sowohl die Tribüne als auch die Sun-Times wiesen mich ab. Die zuständigen Redakteure erklärten mir, ich solle erst einmal losziehen, ein bisschen Erfahrung sammeln und dann mit den Belegen meiner Storys wieder kommen. Das war eine bittere Enttäuschung gewesen - weniger die Ablehnung an sich als die Tatsache, dass ich die Stadt verlassen musste. Natürlich hätte ich beim City News Bureau bleiben können, wo ich während meines Studiums gejobbt hatte, aber das war nicht die Art von Erfahrungen, die diese Redakteure meinten, und außerdem hatte ich keine Lust, für eine Presseagentur zu arbeiten, die einen bezahlte, als sei man noch ein Student, der mehr vorweisbare Texte als Geld brauchte. Also kehrte ich nach Hause zurück und bekam den Job bei der Rocky.
    Die Zeit verging. Anfangs flog ich mindestens zweimal jährlich nach Chicago, um Freunde zu besuchen und in meinen Lieblingslokalen zu essen, aber im Laufe der Jahre geschah das immer seltener.
    Mein letzter Besuch lag inzwischen drei Jahre zurück.
    Damals war mein Freund Larry Bernard gerade bei der Tri bune gelandet. Seither war ich nicht mehr dort gewesen. Vermutlich hatte ich jetzt für Zeitungen wie die Tribune genügend vorzuweisen, aber irgendwie war ich nicht dazu gekommen, Belegexemplare nach Chicago zu schicken.
    Das Taxi setzte mich vor dem Hyatt ab. Ich konnte mein, Zimmer frühestens um drei beziehen, also ließ ich meinen Koffer an der Rezeption und suchte die Münzfernsprecher. Nachdem ich mich eine Weile mit dem Telefonbuch herumgeschlagen hatte, wählte ich die Nummer der Area-Three-Mordkommission der Polizei von Chicago und fragte nach Detective Lawrence Washington. Als er sich meldete, legte ich auf. Ich hatte ihn nur ausfindig machen und mich vergewissern wollen, dass er da war. Meine Erfahrung als Reporter hatte mich gelehrt, mit Cops nie eine Verabredung zu treffen. Die meisten redeten höchst ungern mit Journalisten, und fast alle scheuten sogar eher davor zurück, sich mit ihnen sehen zu lassen. Und bei den wenigen, bei denen das nicht der Fall war, musste man sehr vorsichtig sein. Man musste sich an sie heranschleichen. Es war ein Spiel.
    Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, schaute ich auf die Uhr. Kurz vor zwölf. Mir blieben noch zwanzig Stunden. Meine Maschine nach Dulles startete um acht Uhr am folgenden Morgen.
    Vor dem Hotel schnappte ich mir ein Taxi und wies den Fahrer an, mich zur Belmont und Western zu bringen und dabei durch den Lincoln Park zu fahren. Auf diese Weise konnte ich einen Blick auf die Stelle werfen, wo der Smathers-Junge gefunden worden war. Die Entdeckung seiner Leiche lag genau ein Jahr zurück.
    Ich öffnete meine Computertasche, nahm meinen Laptop heraus, schaltete ihn ein und holte mir die Artikel aus der Tribune auf den Bildschirm, die ich am Abend zuvor in der Bibliothek der Rocky kopiert hatte. Ich ließ die Berichte über den Smathers-Fall durchlaufen, bis ich den Absatz gefunden hatte, in dem die Entdeckung der Leiche durch einen Zoo-Dozenten be schrieben wurde, der seinen Heimweg von der Wohnung seiner Freundin durch den Park abgekürzt hatte. Der Junge war auf einer schneebedeckten Lichtung gefunden worden, auf der im Sommer die Boccia-Turniere der Italian-American League abgehalten wurden. In dem Artikel hieß es, die Lichtung befände sich in der Nähe der Wisconsin Ecke Clark und in Sichtweite einer roten Scheune, die zu der städtischen Farm im Zoo gehörte.
    Es gab nur wenig Verkehr, und binnen zehn Minuten waren wir im Park. Ich bat den Fahrer, bis zur Clark weiterzufahren und am Straßenrand zu halten, sobald wir die Wisconsin erreicht hatten.
    Der Schnee im Park war frisch, und es gab nur wenige Fußspuren. Auf den Brettern der Bänke am Gehweg lag er ungefähr acht Zentimeter hoch. Dieser Teil des Parks machte einen menschenleeren Eindruck. Ich stieg aus dem

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