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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Taxi und wusste, dass ich nichts erwarten konnte, und erwartete dennoch etwas. Nichts Bestimmtes. Vielleicht war es nur ein Gefühl. Auf halbem Wege stieß ich auf eine Reihe von Fußspuren, die meinen Pfad von links nach rechts und auch von rechts nach links kreuzten. Dies deutete darauf hin, dass eine Gruppe von Leuten auf demselben Weg zurückgekehrt war, auf dem sie gekommen war. Kids, dachte ich. Vielleicht auf dem Weg zum Zoo. Falls er geöffnet war. Ich hielt nach der roten Scheune Ausschau - und entdeckte die Blumen am Fuße einer ungefähr zwanzig Meter entfernten hohen Eiche.
    Ich lief auf den Baum zu und wusste instinktiv, worum es ging. Einen mit Blumen begangenen Jahrestag. Die Blumen - leuchtend rote Rosen, die aussahen wie auf den Schnee gespritztes Blut - waren künstlich. Jemand hatte ein kleines Atelierfoto eines lächelnden Jungen in die Gabel des untersten Baumastes gestellt. Seine Ellenbogen waren auf einen Tisch gestützt, die Hände umfassten seine Wangen.
    Er trug eine rote Jacke und ein weißes Hemd mit einer sehr kleinen blauen Fliege. Ich fragte mich, weshalb die Angehörige ihre Gedenkgaben nicht auf das Grab des Jungen gelegt hatten. Ich sah mich um. Auf den Teichen in der Nähe der Scheune vergnügten sich ein paar Schlittschuhläufer. Sonst war niemand zu sehen.        
    Ich schaute hinüber zur Clark Street, wo das Taxi wartete. Auf der anderen Straßenseite ragte ein hohes Ziegelsteingebäude auf, auf dessen Markise HEMINGWAY HOUSE stand. Von dort war der Zoo-Dozent gekommen, als er die Leiche des kleinen Jungen fand.
    Ich griff nach dem Foto. Es war zum Schutz vor der Witterung wie ein Führerschein in Plastikfolie versiegelt. Auf der Rückseite stand der Name des Jungen, sonst nichts. Ich schob das Foto in die Manteltasche. Vielleicht würde ich es eines Tages zum Illustrieren meiner Story brauchen.
    Das Taxi kam mir so warm und behaglich vor wie ein Wohnzimmer mit Kamin. Während wir zur Area Three fuhren, ließ ich abermals die Artikel aus der Tribune über den Bildschirm laufen.
    Die Fakten waren bei dem Fall ebenso grauenhaft wie die beim Lofton-Mord. Der Junge war von dem eingezäunten Spielplatz einer Grundschule in der Division Street fortgelockt worden. Er und zwei andere Jungen hatten eine Schneeballschlacht gemacht. Als die Lehrerin das Fehlen der Jungen bemerkte, ging sie hinaus und wollte sie holen. Aber da war Bobby Smathers bereits verschwunden. Die beiden zwölfjährigen Zeugen waren nicht in der Lage, den Ermittlern der Polizei zu sagen, was geschehen war. Ihrer Aussage zufolge war Bobby Smathers einfach verschwunden. Sie hatten im Schnee herumgetobt, und als sie sich bewusst nach ihm umschauten, war er nicht zu sehen gewesen. Sie nahmen an, dass er sich versteckt hatte und sie aus dem Hinterhalt überfallen wollte, also suchten sie nicht nach ihm.
    Bobby wurde einen Tag später in der Nähe der Boccia-Lich tung im Lincoln Park gefunden. Wochenlange Ermittlungen un ter der Leitung von Detective John Brooks kamen nie über die Erklärung der beiden Zwölfjährigen hinaus: Bobby Smathers war an jenem Tag einfach verschwunden.
    Während ich die Artikel überflog, hielt ich nach Ähnlichkei ten mit dem Lofton-Fall Ausschau. Es gab nur wenige. Sie war eine weiße Erwachsene und er ein schwarzer Junge. Ganz ver schiedene Opfer. Aber beide waren länger als vierundzwanzig Stunden verschwunden gewesen, bevor man sie entdeckt hatte, und beide Leichen wurden in städtischen Parks gefunden. Und schließlich hatten sich beide an ihrem letzten Lebenstag in Ein richtungen für Kinder aufgehalten. Der Junge in seiner Schule, die Frau in der Kindertagesstätte, in der sie arbeitete. Ich wusste nicht, ob diese Übereinstimmungen etwas zu bedeuten hatten, aber mehr Gemeinsamkeiten gab es nicht.
    Die Zentrale der Area Three war eine Festung aus orangefarbenen Ziegelsteinen, untergebracht in einem weitläufigen zweigeschossigen Gebäude, das auch das Bezirksgericht von Cook County beherbergte. Durch die Rauchglastüren schob sich ein ständiger Strom von Bürgern. Ich drängte mich hindurch und gelangte in eine Halle, deren Fußboden nass war von geschmolzenem Schnee. Die Rezeption war aus denselben Ziegelsteinen gebaut wie das Gebäude. Jemand hätte mit einem Wagen durch die Glastüren fahren können und wäre trotzdem nicht an die Cops hinter dem Empfangstresen herangekommen.
    Ich erinnerte mich, dass die Treppe zu meiner Rechten zu den Büros der Detectives hinaufführte,

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