Jack McEvoy 01 - Der Poet
für Sie tun?«
»Daniel Bledsoe?«
»Der bin ich.«
»Mein Name ist Jack McEvoy. Ich würde gern mit Ihnen über John McCafferty sprechen. Ich glaube, wir könnten uns gegenseitig helfen.«
»Die Sache ist lange her.«
Er betrachtete misstrauisch meine Computertasche.
»Das ist nur ein Laptop«, sagte ich. »Können wir uns irgendwo hinsetzen?«
»Klar. Warum nicht?«
Ich folgte ihm durch die Tür und einen schmalen Korridor entlang, von dem an der rechten Seite drei weitere Türen abgingen. Er öffnete die erste, und wir betraten ein mit imitiertem Ahorn getäfeltes Zimmer. An der Wand hingen seine gerahmte Lizenz und einige Fotos aus seiner Zeit als Cop. Der ganze Raum kam mir ebenso dürftig vor wie sein Schnurrbart, aber ich war entschlossen, trotzdem zur Sache zu kommen.
Bledsoe ließ sich hinter einem Schreibtisch mit einer schwarzen Resopalplatte nieder, vermutlich aus einem Laden für gebrauchte Büromöbel. Man sah deutlich den Staub, der sich auf der glänzenden Oberfläche abgelagert hatte. Ich ließ mich Bledsoe gegenüber auf dem einzigen Stuhl nieder. Mein Erstaunen blieb ihm nicht verborgen.
»Das hier war früher eine Abtreibungspraxis. Der Mann wurde eingebuchtet, weil er es noch im letzten Drittel gemacht hat. Ich habe die Räume übernommen, der Staub und das Aussehen sind mir egal. Ich erledige den größten Teil meiner Arbeit am Telefon, verkaufe Versicherungspolicen an Cops. Und Kunden, für die ich etwas herausfinden soll, suche ich auf. Sie kommen nicht zu mir. Und jetzt erzählen Sie mir, weshalb Sie hier sind.«
Ich erzählte ihm von meinem Bruder und danach von John Brooks in Chicago. Ich sah, wie sich Skepsis auf seinem Gesicht breit machte, während ich redete. Sie verriet mir, dass mir vielleicht noch zehn Sekunden blieben, bevor er mich zur Tür hinauswarf.
»Was soll das?«, fragte er. »Wer hat Sie geschickt?«
»Niemand. Aber ich vermute, dass ich nur ungefähr einen Tag Vorsprung vor dem FBI habe. Sie kommen garantiert. Ich dachte nur, Sie würden vorher vielleicht gern mit mir reden. Ich weiß nämlich, wie Ihnen zumute sein muss. Mein Bruder und ich waren Zwillinge. Und ich habe schon oft gehört, dass langjährige Partner, besonders in einer Mordkommission, ein regelrecht brüderliches Verhältnis entwickeln.«
Ich schwieg für ein paar Sekunden. Ich hatte alles ausgespielt bis auf mein As, und dafür musste ich den richtigen Augenblick abwarten. Bledsoe schien ein wenig abzukühlen. Vermutlich trat Verwirrung an die Stelle seines Zorns.
»Und was wollen Sie von mir?«
»Die Nachricht. Ich will wissen, was auf dem Zettel stand, den McCafferty hinterlassen hat.«
»Es gab keine Nachricht. Ich habe nie gesagt, dass es eine Nachricht gegeben hat.«
»Aber seine Frau hat davon gesprochen.«
»Dann reden Sie mit ihr.«
»Nein, ich glaube, ich rede lieber mit Ihnen. Ich will Ihnen etwas erzählen. In all diesen Fällen bringt der Täter das Opfer irgendwie dazu, ein oder zwei Zeilen als eine Art Abschiedsbrief zu hinterlassen. Ich weiß nicht, wie er das anstellt oder weshalb sie ihm zu Willen sind, aber sie tun es. Und jedes Mal stammt der Text aus einem Gedicht. Aus einem Gedicht von ein und demselben Autor. Von Edgar Allan Poe.«
Ich zog den Band mit Poes Werken aus der Computertasche. Ich legte ihn auf den Schreibtisch, damit er ihn sehen konnte.
»Ich glaube, Ihr Partner wurde ermordet. Sie kamen an den Tatort, und es sah wie Selbstmord aus, weil es so aussehen sollte. Die Nachricht, die Sie vernichtet haben - ich wette um die Rente Ihres Partners, dass sie aus einem der Gedichte stammt, die in diesem Buch stehen.«
Bledsoe schaute auf das Buch, dann sah er wieder mich an.
»Offensichtlich waren Sie einmal der Ansicht, es ihm schuldig zu sein, Ihren Job zu riskieren, um das Leben für seine Witwe etwas angenehmer zu machen.«
»Ja, und sehen Sie, was es mir eingebracht hat! Ein Scheißbüro mit einer Scheißlizenz an der Wand. Ich sitze in einem Zimmer, in dem früher Babys aus Frauen herausgeschabt worden sind. Das ist nicht gerade nobel.«
»Aber alle Kollegen wussten, dass das, was Sie getan haben, ziemlich nobel war, sonst würden sie Ihnen keine Versicherungen abkaufen. Sie haben es für Ihren Partner getan. Und jetzt sollten Sie bei der Stange bleiben.«
Bledsoe wandte den Kopf und betrachtete eines der Fotos. Es zeigte ihn und einen anderen Mann in einer freundschaftlichen Umarmung und mit einem sorglosen Lächeln. Aufgenommen in den guten alten
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