Jack McEvoy 01 - Der Poet
nen Pluspunkt erzielt.
»Das ist nur fair.«
Er schob seine Kaffeetasse beiseite, wischte irgendwelchen unsichtbaren Schmutz von seinen Händen und beugte sich dann über den Tisch. »Jack, in fünfzehn Minuten haben wir eine Lagebesprechung. Wie Ihnen Rachel bestimmt erzählt hat, arbei ten wir auf Hochtouren. Meiner Ansicht nach wäre alles andere eine geradezu kriminelle Nachlässigkeit. Ich habe mein gesam tes Team darauf angesetzt, außerdem sind acht weitere BSS-Agenten leihweise sowie zwei Vollzeit-Techniker und sechs Field Offices mit der Sache befasst. Ich kann mich nicht erin nern, dass wir uns bei einer Ermittlung schon jemals dermaßen ins Zeug gelegt hätten.«
»Freut mich, das zu hören ... Bob.«
Er zuckte nicht sichtbar zusammen, als ich ihn mit seinem Vornamen anredete. Es war ein kleiner Test gewesen. Er tat so, als behandele er mich wie einen Gleichrangigen, sprach mich mit dem Vornamen an. Ich wollte wissen, wie ernst es ihm war. So weit, so gut.
»Sie haben hervorragende Arbeit geleistet«, fuhr Backus fort. »Was Sie getan haben, liefert uns eine exzellente Vorlage. Sie ist ein Ausgangspunkt, und Sie sollen wissen, dass wir uns seit über vierundzwanzig Stunden eingehend mit der Sache beschäftigen. Aber im Augenblick steht Geheimhaltung an oberster Stelle.«
Es lief genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte Mühe, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich wusste, dass das FBI und die Ermittler auf mich angewiesen waren. Ich konnte Druck ausüben. Ich war ein Insider.
»Sie wollen nicht, dass ich darüber schreibe«, sagte ich ruhig.
»Ja, genauso ist es. Jedenfalls vorerst nicht. Wir wissen, dass Sie auch ohne das, was Sie von uns erfahren haben, über genügend Material verfügen, um eine tolle Story zu schreiben. Es ist eine explosive Story, Jack. Wenn Sie in Denver darüber schreiben, wird sie großes Aufsehen erregen. Im Handumdrehen wird sie von den Agenturen und jeder Zeitung übernommen werden. Als Nächstes kommen >Hard Copy< und die übrigen Sensationssender. Jeder wird sich logischerweise daranhängen. Ganz ehrlich, Jack - das können wir einfach nicht zulassen. Sobald der Täter erkennt, dass wir über ihn Bescheid wissen, könnte er untertauchen. Wenn er schlau ist, und wir wissen schon jetzt, dass er verdammt schlau ist, werden wir ihn nie erwischen. Und das wollen Sie doch sicher nicht. Schließlich reden wir hier von dem Menschen, der Ihren Bruder umgebracht hat. Das wollen Sie doch nicht, oder?«
Ich nickte, um zu zeigen, dass ich das Dilemma verstand, und schwieg für einen Moment, um mir meine Antwort zurechtzulegen. Ich ließ den Blick von Backus zu Walling und dann zurück zu Backus schweifen.
»Meine Zeitung hat schon jetzt eine Menge Zeit und Geld investiert«, sagte ich. »Ich habe alles, was ich brauche, um eine Exklusiv-Story zu schreiben. Also, was schlagen Sie vor? Ich verzichte einfach darauf, verschwinde von hier und warte ab, ob Sie eines Tages eine Pressekonferenz abhalten, wenn und falls Sie diesen Kerl erwischt haben?«
Backus räusperte sich und lehnte sich zurück.
Ich warf einen Blick auf Walling, aber ihr Gesicht verriet nichts.
»Ich will nicht um den heißen Brei herumreden«, sagte Backus. »Ja, ich möchte, dass Sie die Story noch eine kleine Weile zuruckhalten.«
»Was verstehen Sie unter einer >kleinen Weile«
»Bis wir diese Person haben.«
Ich pfiff leise.
»Und was bekomme ich dafür, dass ich die Story wie gewünscht zurückhalte? Was bekommt die Rocky Mountain News?«
»Zuerst einmal würden Sie uns damit helfen, den Mörder Ihres Bruders zu erwischen. Falls Ihnen das nicht genügen sollte, könnten wir uns bestimmt auf eine Art Exklusiv-Bericht über die Verhaftung des Verdächtigen einigen.«
Ein paar Sekunden sprach niemand, weil der Ball jetzt eindeutig in meinem Feld lag. Ich erwog meine Worte sorgfältig.
»Nun, Bob, ich glaube, dies ist einer der seltenen Fälle, in denen das FBI nicht sämtliche Karten in der Hand hält und nicht allein bestimmen kann, wo es langgeht. Das ist nämlich meine Ermittlung. Ich habe sie begonnen, und ich denke nicht daran, mich zurückzuziehen. Ich fliege nicht zurück nach Denver, setze mich nicht an meinen Schreibtisch und warte nicht darauf, dass das Telefon läutet. Ich bin in der Sache drin, und wenn Sie mich nicht teilhaben lassen, dann fliege ich zurück und schreibe die Story. Sie wird Sonntagmorgen in der Zeitung stehen. Das ist bei uns der Tag mit der größten
Weitere Kostenlose Bücher