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Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niel Bushnell
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»Weber. Ungeziefer. Sie jagen uns. Rauben unsere Seelen.«
    Einige Minuten später wechselte das Rohr die Richtung, und die Plattform stürzte senkrecht hinab wie auf einer Achterbahn des Grauens. Sie wurden in verschiedene Richtungen geschoben, mal nach unten, mal nach oben, einmal überschlugen sie sich sogar, sodass Jack für einen Moment das Gefühl hatte, sie würden kopfüber dahinschießen.
    Aus dem Zwielicht tauchten andere Rohrleitungen auf, alle so lang und verdreht wie die ihre, ohne irgendwelche Aufhängungen oder Stützen. Sie kamen an Stellen vorbei, die wie Kreuzungen aussahen, wo sich zwei oder noch mehr Leitungen überschnitten; dann zeichnete Torbalan manchmal eine Route in seine Karte, die sie auf eine neue Leitung brachte.
    Sie fuhren mitten durch Dampfwolken hindurch, die zu Regentropfen kondensierten und auf die Rohrleitung tropf ten; der Regen klatschte Jack ins Gesicht und machte Flecken auf die Plattform, die zu dunklen Ascheringen wegtrockneten. Weiter vorn fraßen vogelartige Wesen an den Kabeln, schwarze menschengroße Umrisse, die an den Isolierungen pickten und zerrten. Als die Plattform auf sie zuraste, erhoben sich die Möwen steil in die Luft, kreisten über ihnen und schrien und krächzten, bis sie vorbei waren.
    Während sie die Rohrleitung entlangfuhren, spürte Jack eine wachsende Traurigkeit in Eloise; als er zu ihr sah, glänzten im sanften Licht der Laterne Tränen auf ihren Wangen.
    »Eloise«, sagte er und berührte unbeholfen ihre Hand. »Geht es dir gut?«
    Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ich kann ihn nicht länger spüren.«
    »Wen?« Davey sah sie forschend an. »Du meinst Rouland, oder?«
    Eloise nickte und wischte sich das Gesicht trocken. »Er hat mich zurück ins Leben geholt, das ist jetzt lange her. Er hat mir seinen Atem geschenkt; seit diesem Tag habe ich ihn stets spüren können. Ich bin nie von seiner Seite gewichen. Selbst während meiner langen Gefangenschaft war er nie weit von mir entfernt.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber jetzt, hier in diesem Reich, da habe ich nicht mehr das Gefühl, ganz zu sein. Je weiter ich mich von ihm entferne, desto weniger lebendig fühle ich mich. Ich hasse ihn. Ich wünschte, er wäre tot. Und wenn er stirbt, dann möchte ich auch sterben.« Hoffnung flackerte in ihren Augen.
    »Ich dachte, du wärst schon tot?«, fragte Davey.
    »Ich lebe nicht, das ist richtig. Nicht wie ihr. Aber zu sterben, wirklich aufhören zu existieren, aus diesem abgrundtiefen Loch der Schuld befreit zu werden …« Eloise schüttelte den Kopf. »Wenn du so lange gelebt hättest wie ich, wenn du das hättest tun müssen, was er mir abverlangt hat, dann würdest du den Tod auch mit offenen Armen empfangen.«
    Jack musste plötzlich an seine Mutter denken und wurde wütend. »Das würdest du nicht sagen, wenn du sterben müsstest.«
    »Jack, ich bin schon gestorben. Ich weiß, wovon ich rede.«
    Jack sah zu Davey und versuchte ihn sich als den alten Mann vorzustellen, dem er auf dem Friedhof begegnet war, als den alten Mann, der sein Leben dafür gegeben hatte, dass er fliehen konnte. Er fühlte Wut und Leere, aber trotz allem, was er bereits verloren hatte, wusste er, dass das Leben – jedes Leben – kostbar war.
    Eine kalte Brise riss ihn aus seinen trüben Gedanken; als er aufsah, stürzte die Plattform vom Ende der Rohrleitung hinunter und landete schmerzhaft ein paar Meter weiter unten auf einer anderen.
    »Ich werde ewig leben«, sagte Davey vergnügt.
    Jack verzog das Gesicht.
    »Wünsch dir so etwas nicht«, sagte Eloise. »Alle guten Bü cher haben ein Ende, und das macht sie nur noch besser. Meinst du, es würde eine gute Geschichte verbessern, wenn sie nie zu Ende wäre? Selbst das heldenhafteste Abenteuer würde langweilig werden, bedeutungslos. Der edelmütigste Held der Welt würde mit der Zeit verderben und zu einem Scheusal absinken. Nein, wir sterben aus gutem Grund.«
    Sie fuhren schweigend weiter, bis die Plattform mit einem Kreischen zum Stillstand kam. Jack sah den Schwarzwicht an. Er studierte seine Karte und murmelte wieder vor sich hin.
    »Er weiß nicht mehr, wo wir sind«, sagte Davey.
    »Nein, nein, gar nicht«, sagte Torbalan, der ihn gehört hatte. »Weiß bloß noch nicht, wo wir langwollen. Müssen vielleicht runter ins Tiefland, um den richtigen Weg zu fin den. Bin seit 1880 nicht mehr da gewesen, oder seit 1885. Üble Gegend. Voller Weber.« Er drehte die Karte um und reckte seinen Bleistift in die Luft.
    »Was ist

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