Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
sich gefragt: Was würde dich mehr beeindrucken? Eine nüchterne Arbeitsküche? Oder eine imponierend geräumige Küche? Deshalb befand sich der Hackklotz im Möbelwagen.
Dort stand jetzt auch der Fernseher aus dem Arbeitszimmer, Chester hatte ein Problem mit Fernsehern. Die Videotechnik hatte dem Schmalfilmsektor seines Unternehmens den Todesstoß versetzt, und er war nicht gerade erpicht darauf, die neuesten Produkte der Konkurrenz zu kaufen. Deshalb war ihr Fernseher ein uraltes Gerät ohne Videorekorder. Sein Bildschirm hatte eine scheußliche Chromumrahmung, aus der er sich hervorwölbte wie ein graues Goldfischglas. Marilyn hatte bessere Geräte auf dem Gehsteig gesehen, wo ausrangierte Modelle für jedermann zum Mitnehmen abgestellt wurden. Also ließ sie die Möbelpacker den Fernseher hinausschaffen und durch das Bücherregal aus dem Gästezimmer ersetzen. Sie fand, der Raum sehe nun viel besser aus. Mit dem Bücherregal, der Sitzgarnitur aus Leder und den dunklen Lampenschirmen wirkte er kultiviert. Ein zum Nachdenken anregender Raum. Als erwerbe der Käufer hier einen Lebensstil, nicht nur ein Haus.
Sie verbrachte einige Zeit damit, die Bücher auszuwählen, die scheinbar zufällig auf den Couchtischen liegen sollten. Dann kam die Floristin, die flache Kartons voller Blumen brachte. Marilyn zeigte ihr, wo die Vasen standen, drückte ihr eine französische Zeitschrift in die Hand und gab ihr den Auftrag, die Blumenarrangements zu kopieren. Ein Mann, den Sheryl geschickt hatte, brachte das Schild Zu verkaufen, und sie ließ es ihn auf dem Rasen vor dem Haus aufstellen. Als die Möbelpacker wegfahren wollten, trafen die Gärtner ein, was einiges Rangieren in der Einfahrt erforderte. Sie machte mit dem Vorarbeiter einen Rundgang durch den Garten, um ihm zu zeigen, welche Arbeiten zu erledigen waren, und verschwand dann wieder im Haus, bevor die Rasenmäher zu knattern begannen. Der junge Mann, der den Swimmingpool säubern sollte, traf gleichzeitig mit den Gebäudereinigern ein. Marilyn stand zwischen ihnen und wusste im ersten Augenblick nicht recht, mit wem sie anfangen sollte. Aber dann nickte sie entschlossen, wies die Gebäudereiniger an, kurz zu warten, ging mit dem jungen Mann zum Pool und erklärte ihm, was zu tun sei. Als sie danach ins Haus zurücklief, verspürte sie plötzlich Hunger, freute sich jedoch über das, was sie an diesem Vormittag geleistet hatte.
Die beiden schafften es bis zur Haustür, um Reacher zu verabschieden. Der Alte erhöhte die Sauerstoffzufuhr, bis es ihm gelang, sich aus seinem Sessel hochzustemmen; dann schob er das Wägelchen mit der Sauerstoffflasche langsam vor sich her, stützte sich darauf und benutzte es als Gehhilfe. Seine Frau ging vor ihm her, wobei ihr Rock über dem Petticoat an beiden Seiten des schmalen Korridors entlangstreifte. Reacher folgte ihnen mit der abgewetzten Ledermappe unter dem Arm. Während Mrs. Hobie die Haustür aufschloss, stand ihr Mann keuchend da und hielt die Griffe seines Wägelchens umklammert. Dann ging die Tür auf und ließ wohltuend frische Luft herein.
»Leben in Brighton noch welche von Victors alten Freunden?«, fragte Reacher.
»Ist das wichtig, Major?«
Reacher zuckte mit den Schultern. Aus Erfahrung wusste er, dass man Leute am besten dadurch auf schlechte Nachrichten vorbereiten konnte, wenn man von Anfang an sehr gründlich vorging. Die Leute hörten einem aufmerksamer zu, wenn sie glaubten, man habe alle Möglichkeiten ausgeschöpft.
»Ich brauche nur ein paar Hintergrundinformationen«, sagte er.
Sie starrten ihn verständnislos an, schienen aber doch bereit zu sein, darüber nachzudenken, weil er ihre letzte Hoffnung war. Er hielt das Leben ihres Sohns buchstäblich in seinen Händen.
»Ed Steven, glaub ich, in der Eisenwarenhandlung«, sagte Mr. Hobie schließlich. »Vom Kindergarten bis zur zwölften Klasse dick mit Victor befreundet. Aber das war vor fünfunddreißig Jahren, Major. Kann mir nicht vorstellen, dass das jetzt noch wichtig sein soll.«
Reacher nickte, weil das tatsächlich nicht mehr wichtig war.
»Ich habe Ihre Telefonnummer«, sagte er. »Ich rufe Sie an, sobald ich etwas weiß.«
»Wir verlassen uns auf Sie«, meinte die alte Dame.
Reacher nickte erneut.
»Es war mir ein Vergnügen, Sie beide kennen zu lernen«, sagte er. »Vielen Dank für den Kaffee und den Kuchen. Und ich bedaure Ihre Situation sehr.«
Sie äußerten sich nicht dazu. Reacher war es peinlich, das gesagt zu haben. Dreißig
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