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Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Titel: Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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hager, gebeugt, grau, in einem zerschlissenen Arbeitsanzug. Der Mann sah halb von dem asiatischen Soldaten weg, schien vor ihm zurückzuweichen.
    »Das ist Victor«, sagte Mrs. Hobie. »Das ist unser Sohn. Diese Aufnahme wurde letztes Jahr gemacht.«
    »Wir haben dreißig Jahre lang ohne Erfolg nach ihm gesucht«, sagte Hobie. »Niemand wollte uns helfen. Dann haben wir einen Mann getroffen, der uns von diesen Geheimlagern erzählte. Es gibt nicht viele. Nur ein paar mit einer Hand voll Gefangenen. Die meisten sind inzwischen gestorben. Sie sind alt geworden und deshalb gestorben - oder sie sind verhungert. Dieser Mann ist nach Vietnam gereist, um für uns Nachforschungen anzustellen. Er ist nahe genug herangekommen, um dieses Foto zu machen. Er hat sogar mit einem anderen Gefangenen durch den Stacheldraht gesprochen. Heimlich, bei Nacht. Das war sehr gefährlich für ihn. Er hat nach dem Namen des Gefangenen gefragt, den er tagsüber fotografiert hatte. Der Mann war Vic Hobie, Hubschrauberpilot der First Cavalry«
    »Der Mann hatte kein Geld für ein Rettungsunternehmen«, sagte Mrs. Hobie. »Und wir hatten ihm schon alles, was wir besaßen, für die erste Reise bezahlt. Als wir dann General Garber bei Dr. McBannerman kennen lernten, haben wir ihm unsere Geschichte erzählt und ihn gebeten, sich dafür einzusetzen, dass die Regierung für die Rettung zahlt.«
    Reacher starrte das Foto an. Starrte den hageren Mann mit dem grauen Gesicht an.
    »Wer hat dieses Bild noch gesehen?«
    »Nur General Garber«, antwortete Mrs. Hobie. »Der Mann, der es aufgenommen hat, hat uns eingeschärft, es niemandem zu zeigen. Weil es politisch sehr heikel ist. Sehr gefährlich. Eine schreckliche Sache, die in der Geschichte unserer Nation begründet liegt. Aber wir mussten es General Garber zeigen, weil er in der Lage war, uns zu helfen.«
    »Was soll ich nun also tun?«, wollte Reacher wissen.
    In der Stille zischte der Sauerstoff. Die Lippen des Alten bewegten sich.
    »Ich will ihn bloß zurückhaben«, sagte er. »Ich will ihn nur Wiedersehen, noch einen Tag sehen, bevor ich sterbe.«
    Danach verstummten die beiden Alten, wandten sich ab und richteten ihre tränenfeuchten Blicke auf die auf dem Kaminsims aufgereihten Fotos. Reacher blieb zunächst schweigend sitzen. Dann drehte der Alte sich wieder zu ihm und hob mit beiden Händen die Ledermappe von seinem Schoß, um sie ihm zu reichen. Reacher beugte sich vor und nahm sie entgegen. Zuerst glaubte er, der Alte gebe ihm die Mappe, damit er die drei Fotos zurücklege. Dann aber wurde ihm klar, dass dies eine Stabübergabe gewesen war. Eine feierliche symbolische Übergabe. Leon hatte sich ihre Sache zu eigen gemacht, und jetzt war die Reihe an ihm.
    Die Ledermappe war dünn. Außer den drei Fotos, die Reacher schon kannte, enthielt sie nur die wenigen Briefe, die Victor Hobie seinen Eltern in unregelmäßigen Abständen geschrieben hatte, und amtliche Schreiben des Heeresministeriums. Und einen Packen Schriftstücke über die Liquidierung ihrer gesamten Ersparnisse und ihre Übersendung in Form eines von der Bank bestätigten Schecks an eine Adresse in der Bronx - zur Finanzierung einer Erkundung in Vietnam, die ein gewisser Rutter durchführen sollte.
    Die Briefe des Jungen begannen mit kurzen Mitteilungen aus verschiedenen Standorten in den Südstaaten, als er im Lauf seiner Ausbildung durch Dix und Polk, durch Wolters und Rucker, durch Belvoir und Benning kam. Dann folgte ein etwas längerer Brief aus Mobile, Alabama, wo er zu seiner einmonatigen Reise durch den Panamakanal und den Pazifik nach Indochina an Bord eines Truppentransporters ging. Aus Vietnam selbst kamen dann Brieftelegramme der U. S. Army auf dünnem Papier - acht in seiner ersten Verpflichtungszeit, sechs in der zweiten. Das dreißig Jahre alte Papier war steif und trocken wie Papyrus.
    Er war kein sonderlich guter Briefschreiber gewesen. Die Briefe strotzten von den üblichen banalen Phrasen, die jeder junge Soldat nach Hause schreibt. Weltweit musste es Millionen von Eltern geben, die ähnliche Briefe wie einen Schatz hüteten - aus verschiedenen Zeiten, aus verschiedenen Kriegen, in verschiedenen Sprachen, aber mit den gleichen Inhalten: das Wetter, die Verpflegung, die Latrinenparolen, die Beteuerungen, ihm werde schon nichts passieren.
    Die Antworten aus dem Heeresministerium verkörperten drei Jahrzehnte bürotechnischen Fortschritts. Sie waren zuerst mit alten mechanischen Schreibmaschinen getippt - manche

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