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Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Titel: Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Türpfosten.
    »Alles schon lange her«, sagte er. »Was kann ich Ihnen erzählen? Unsere Väter waren in der Industrie- und Handelskammer beisammen. Seiner war Drucker. Meiner hat dieses Geschäft geführt, damals nur eine Holzhandlung. Victor und ich waren in unserer ganzen Schulzeit zusammen. Wir sind am selben Tag in den Kindergarten gekommen, haben am selben Tag die Highschool abgeschlossen. Danach habe ich ihn nur noch einmal gesehen, bei einem Heimaturlaub. Er war ein Jahr in Vietnam gewesen und wollte wieder dorthin zurück.«
    »Was für ein Mensch war er also?«
    Steven zuckte nochmals mit den Schultern. »Mir ist nicht recht wohl dabei, wenn ich mich dazu äußern soll.«
    »Warum? Gibt’s irgendwas Negatives zu berichten?«
    »Nein, nein, nichts dergleichen«, antwortete Steven rasch. »Victor war in Ordnung. Aber ich würde Ihnen mit fünfunddreißig Jahren Abstand erzählen, wie ein Junge einen anderen gesehen hat, stimmt’s? Das wäre vielleicht kein verlässliches Urteil.«
    Reacher blieb stehen, sah sich nach Steven um. Der lehnte mit seiner roten Schürze am Torpfosten, hager und fit, nach Reachers Vorstellung geradezu der Prototyp eines umsichtigen Yankee-Geschäftsmanns aus einer Kleinstadt. Und bestimmt ein Mann, auf dessen Urteil man sich verlassen konnte. Reacher nickte.
    »Okay, das sehe ich ein. Ich werde es berücksichtigen.«
    Steven nickte ebenfalls, als seien die Grundregeln damit klar. »Wie alt sind Sie?«
    »Achtunddreißig«, erwiderte Reacher.
    »Aus der hiesigen Gegend?«
    Reacher schüttelte den Kopf. »Eigentlich von nirgends her.«
    »Okay, es gibt ein paar Dinge, die Sie verstehen müssen«, sagte Steven. »Dies ist eine Kleinstadt auf dem Land, und Victor und ich sind 1948 hier geboren. Wir waren schon fünfzehn, als man Kennedy erschossen hat, sechzehn, als die Beatles berühmt wurden, und zwanzig, als es in Chicago und L. A. zu Rassenunruhen gekommen ist. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
    »Eine andere Welt«, antwortete Reacher.
    »Darauf können Sie Gift nehmen«, bestätigte Steven. »Wir sind in einer anderen Welt aufgewachsen. Das gilt für unsere ganze Kindheit. Für uns war ein wagemutiger Kerl ein Junge, der Baseballkarten in die Speichen seines Rads klemmte. Das müssen Sie bei meiner Erzählung berücksichtigen.«
    Reacher nickte. Hob den neunten und zehnten Sack von der Ladefläche des Pick-up. Er schwitzte leicht und machte sich Sorgen darüber, wie sein Hemd aussehen würde, wenn Jodie es das nächste Mal zu Gesicht bekam.
    »Victor war ein durchschnittlicher Junge«, fuhr Steven fort. »Ein völlig normaler, durchschnittlicher Junge. Und zu Vergleichszwecken sollte man wissen, dass das zu einer Zeit war, als wir anderen uns für tolle Hechte hielten, wenn wir am Samstagabend bis halb neun weggeblieben sind und Milchshakes getrunken haben.«
    »Wofür hat er sich interessiert?«, fragte Reacher.
    Steven blies seine Backen auf und zuckte mit den Schultern. »Was soll ich sagen? Für die gleichen Dinge wie wir anderen, denke ich. Baseball, Mickey Mantle. Wir waren auch Elvis-Fans. Eiscreme und der Lone Ranger. Solches Zeug.«
    »Sein Vater sagt, er habe schon immer Soldat werden wollen.«
    »Das wollten wir alle. Erst haben wir Cowboys und Indianer gespielt, dann waren wir Soldaten.«
    »Waren Sie auch in Vietnam?«
    Steven schüttelte den Kopf. »Nein, mir hat die Idee, Soldat zu sein, keinen Spaß mehr gemacht. Nicht dass ich etwas gegen den Krieg gehabt hätte. Das war lange bevor all das Gedankengut dieser Langhaarigen sich auch bei uns verbreitet hat. Niemand hatte etwas gegen das Militär. Ich hatte auch keine Angst davor. Damals gab es nichts, wovor man Angst haben musste. Wir waren die Vereinigten Staaten, richtig? Wir würden’s diesen Schlitzaugen schon zeigen. Das würde kein halbes Jahr dauern. Niemand machte sich Sorgen bei dem Gedanken, nach Vietnam zu müssen. Es kam einem nur altmodisch vor. Wir respektierten es, wir hörten uns gern die Storys an, aber irgendwie war das eine Sache von gestern, verstehen Sie? Ich wollte Geschäftsmann werden. Wollte die Holzhandlung meines Vaters zu einem Riesenunternehmen ausbauen. Das erschien mir als das richtige Ziel. Irgendwie noch amerikanischer, als zur Army zu gehen.«
    »Sie haben sich also um den Wehrdienst gedrückt?«, fragte Reacher.
    Steven nickte. »Ich sollte zur Musterung, aber ich hatte noch Bewerbungen bei verschiedenen Colleges laufen, und der Ausschuss hat mich einfach übergangen.

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