Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
er. Er hatte die Bewegung ihrer Wimpern an seinem Hals gefühlt, und seine Schulter konnte die Form ihres Mundes spüren. Jodie lächelte. Seine Hand glitt weiter. Ihre Haut war kühl und glatt.
»Eigentlich müsste ich jetzt weinen«, flüsterte sie. »Ich habe immer geglaubt, dass dies niemals passieren würde.«
Er zog sie enger an sich. »Warum sollten wir weinen?«
»Wegen all dieser vergeudeten Jahre«, erwiderte sie.
»Besser spät als nie«, sagte er.
Sie richtete sich auf, schob sich halb über ihn, sodass ihre Brüste auf seinem Brustkorb zu liegen kamen. »Was du mir vorhin alles über deine Gefühle erzählt hast, hätte auch von mir sein können - Wort für Wort. Ich wollte, ich hätt’s dir längst gesagt, aber ich konnte einfach nicht.«
»Ich auch nicht«, sagte er. »Es ist mir wie ein schlimmes Geheimnis vorgekommen.«
»Ja«, sagte sie. »Mein schlimmes Geheimnis.«
Sie schob sich ganz über ihn, setzte sich auf und lächelte.
»Aber jetzt ist’s kein Geheimnis mehr«, stellte sie fest.
»Nein«, sagte er.
Sie streckte ihre Arme hoch, gähnte und lächelte zufrieden. Seine Hände umschlossen ihre schmale Taille. Glitten nach oben zu ihren Brüsten. Jodies Lächeln wurde breiter. »Noch mal?«
Er kippte sie zur Seite, drehte sie um und legte sie sanft neben sich aufs Bett. »Wir haben einiges nachzuholen, stimmt’s? All diese vergeudeten Jahre.«
Sie nickte lächelnd.
Marilyn ergriff die Initiative. Sie hatte das Gefühl, die Stärkste zu sein. Chester und Sheryl waren benommen, was aus ihrer Sicht verständlich war, weil sie misshandelt worden waren. Marilyn konnte sich vorstellen, wie verwundbar sie sich in ihrem spärlich bekleideten Zustand Vorkommen mussten. Sie fühlte sich selbst nur halb bekleidet, aber das war im Augenblick ihre geringste Sorge. Sie zog das Klebeband von Sheryls Mund und hielt sie tröstend umarmt, während diese weinte. Dann befreite sie Sheryls Handgelenke und Arme von der Fessel. Sie knüllte das klebrige Zeug zusammen, warf es in den Mülleimer und ging wieder zu Sheryl, um ihre schmerzenden, fast gefühllosen Schultern zu massieren. Als Nächstes holte sie ein Handtuch aus dem Wandschrank, ließ heißes Wasser ins Waschbecken laufen und tupfte vorsichtig das geronnene Blut von Sheryls Gesicht. Ihre dick geschwollene Nase verfärbte sich allmählich schwarz. Marilyn überlegte sich, wie sie es anstellen sollte, sie zu einem Arzt zu bringen. Sie dachte sich verschiedene Dialoge aus, die sie in Filmen gehört hatte, in denen Geiseln genommen wurden. Eine Person ernannte sich immer selbst zum Sprecher und sagte Keine Polizei! Erreichte, dass die Verletzten ins Krankenhaus gebracht wurden. Aber wie genau ging sie vor?
Sie holte alle Badetücher aus dem Schrank und gab eines davon Sheryl, die daraus einen Wickelrock machte. Dann teilte sie die restlichen Frotteetücher in drei Stapel auf und breitete sie auf dem Fußboden aus. Die Fliesen waren kalt. Eine Isolierschicht als Unterlage würde wichtig sein. Ihr Platz war mit dem Rücken an der Tür. Chester saß links und Sheryl rechts neben ihr. Sie nahm die Hände der beiden und drückte sie kräftig. Chester erwiderte den Druck.
»Das tut mir alles schrecklich Leid«, sagte er.
»Wie viel bist du ihnen schuldig?«
»Über siebzehn Millionen.«
Sie brauchte ihn nicht zu fragen, ob er seine Schulden bezahlen könne. Wäre er flüssig gewesen, hätte er nicht halb nackt neben ihr auf dem Boden dieser Toilette gesessen.
»Was will er von dir?«, fragte sie.
Er zuckte kläglich mit den Schultern
»Alles«, sagte er. »Er will die ganze Firma.«
Sie nickte, ohne ihn anzusehen. Ihr Blick blieb starr auf den Siphon unter dem Waschbecken gerichtet.
»Was bliebe uns dann?«
Chester machte eine Pause, dann zuckte er wieder mit den Schultern. »Irgendwelche Krümel, die er uns vielleicht hinwerfen würde. Wahrscheinlich gar nichts.«
»Was ist mit dem Haus?«, fragte sie. »Das hätten wir weiterhin, stimmt’s? Ich habe es zum Verkauf angeboten. Sheryl hier ist die Maklerin. Sie sagt, dass wir es für fast zwei Millionen verkaufen können.«
Er sah kurz zu Sheryl. Dann schüttelte er resigniert den Kopf. »Unser Haus gehört der Firma. Das hat technische Gründe, so war es leichter zu finanzieren. Also bekommt Hobie es mit allem anderen.«
Sie nickte und starrte ins Leere. Sheryl döste, schien fast zu schlafen. Sie war völlig erschöpft.
»Versuch jetzt auch zu schlafen«, sagte sie zu Chester. »Mir
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