Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
sie, atemlos.
»Mein Gott, Jodie, warum nicht? Weil es unpassend wäre, darum. Ich muss dir das nicht ausführlich erklären. Du bist weder meine Schwester noch meine Nichte, und ich kann nicht so tun, als seist du etwas in dieser Art. Diese Schauspielerei macht mich verrückt.«
Sie saß stocksteif da. Starrte ihn an.
»Und seit wann geht’s dir so?«, fragte sie.
Er zuckte verlegen mit den Schultern. »Schon immer, wenn du’s genau wissen willst. Seit ich dich kenne. Gib mir ’ne Chance, Jodie, du warst damals kein Kind mehr. Der Altersunterschied zwischen uns beiden war geringer als der zwischen Leon und mir.«
Sie schwieg. Er wartete auf die Tränen. Die Empörung. Das Entsetzen. Sie starrte ihn nur an. Er bedauerte schon, überhaupt etwas gesagt zu haben.
»Tut mir Leid«, sagte er nochmals.
Ihre Miene war ausdruckslos. Große blaue Augen starrten ihn an. Sie hatte ihre Ellbogen auf den Tisch gestützt. Der Ausschnitt ihres Leinenkleids stand ein wenig ab, und er konnte den Träger ihres Büstenhalters sehen. Sie wirkte geknickt. Er schloss die Augen und seufzte.
Dann tat sie etwas sehr Merkwürdiges. Sie stand langsam auf, schob ihren Stuhl beiseite, packte mit beiden Händen die Tischkante und zog den Tisch weg. Dann drehte sie sich um und stieß ihn mit der Rückseite ihrer Oberschenkel weiter, bis unter die Arbeitsplatte. So befand Reacher sich auf seinem Stuhl sitzend plötzlich allein in der Mitte des Raums. Sie kam zurück und baute sich vor ihm auf. Ihm stockte der Atem.
»Du hast mich also einfach nur als Frau gesehen?«, fragte sie.
Er nickte unglücklich.
»Nicht als kleine Schwester? Nicht als deine Nichte?«
Er schüttelte den Kopf. Sie machte eine Pause.
»Sexuell?«, wollte sie wissen.
Er nickte, noch immer verlegen, resigniert. »Natürlich sexuell. Was denkst du? Sieh dich doch an! Ich habe letzte Nacht kaum ein Auge zugetan.«
Sie stand einfach nur da.
»Ich musste es dir sagen«, erklärte er. »Tut mir echt Leid, Jodie.«
Sie schloss die Augen. Kniff sie fest zusammen. Plötzlich breitete sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln aus. Dann explodierte sie förmlich und stürzte sich auf ihn. Sie landete auf seinem Schoß, schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn, als müsse sie sterben, wenn sie damit aufhörte.
Das Auto gehörte Sheryl, aber er zwang Marilyn dazu, es zu fahren. Er saß auf dem Rücksitz hinter Marilyn, Sheryl, deren gefesselte Arme sich tief in die Sitzpolster drückten, rechts neben sich. Sie atmete keuchend durch das aufgeschlitzte Klebeband. Er platzierte seinen Haken so auf ihrem Oberschenkel, dass die Spitze sich leicht in die Haut grub. In der linken Hand hielt er die Pistole. Damit berührte er Marilyns Nacken, um sie keinen Augenblick vergessen zu lassen, dass er eine Waffe besaß.
Tony wartete in der Tiefgarage auf sie. Nach Büroschluss war dort unten niemand mehr unterwegs. Tony übernahm Sheryl, Hobie zog Marilyn am Arm mit sich. Sie fuhren zu viert mit dem Lastenaufzug nach oben. Hobie schloss die Tür zum Korridor auf und betrat als Erster den Empfangsbereich. In der Teeküche brannte Licht. Stone lag in seiner Unterwäsche auf dem Boden. Marilyn schrie leise auf und rannte zu ihm. Hobie beobachtete die Bewegungen ihres Körpers unter der dünnen Seide und lächelte. Wandte sich ab und sperrte die Korridortür zu. Steckte Pistole und Schlüssel ein. Marilyn stand wie gelähmt an der Tür, starrte in die Teeküche, wieder beide Hände vor den Mund geschlagen, war kreidebleich und riss entsetzt die Augen auf. Hobie folgte ihrem Blick. Auf der Arbeitsplatte lag die Hand - die Handfläche nach oben, die Finger gekrümmt. Marilyns Blick glitt entsetzt über die Gestalt des vor ihr Liegenden.
»Keine Sorge«, sagte Hobie, »die gehört nicht ihm. Aber das ist keine schlechte Idee, nicht? Ich könnte ihm eine Hand abhacken, wenn er nicht tut, was ich verlange.«
Marilyn starrte ihn an.
»Oder ich könnte Ihnen eine abhacken«, sagte er. »Und könnte ihn dabei Zusehen lassen. Vielleicht könnte ich ihn dazu bringen, es für mich zu tun.«
»Sie sind verrückt«, flüsterte Marilyn
»Das täte er, wissen Sie«, sagte Hobie. »Er täte alles. Er ist ein Waschlappen. Sehen Sie ihn sich an in seiner Unterwäsche! Finden Sie, dass er damit gut aussieht?«
Sie gab keine Antwort.
»Wie steht’s mit Ihnen?«, wollte Hobie wissen. »Sehen Sie in Ihrer Unterwäsche gut aus? Haben Sie Lust, Ihr Kleid auszuziehen und sie mir vorzuführen?«
Sie
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