Jack Reacher 09: Sniper
weiß, dass das nicht stimmt?
Sie warteten, aber wie sich zeigte, dauerte das Warten nicht lange. Emerson rief das NBC-Studio an und erklärte Ann Yannis Assistentin, die Polizei habe Jack Reacher verhaftet, und Reacher verlange, dass Yanni auf die Polizeistation komme, Grund unbekannt. Das war eine bizarre Nachricht. Aber Yanni erschien keine halbe Stunde später in Emersons Dienstzimmer. Sie war eine Journalistin, die Witterung von einer Story hatte. Sie wusste, dass Kontakte für morgen besser waren als ein Lokalsender heute war.
»Wie kann ich behilflich sein?«, fragte sie.
Sie besaß Ausstrahlung und war ein Star in ihrer Branche. Und sie vertrat die Medien. Sowohl Emerson als auch Rodin wirkten in ihrer Gegenwart leicht eingeschüchtert. Nicht von ihr als Person, sondern von dem, was sie verkörperte.
»Tut mir leid«, sagte Reacher zu ihr. »Ich weiß, dass dir das unangenehm ist, und ich weiß, dass ich versprochen habe, niemandem davon zu erzählen, aber unter diesen Umständen musst du mein Alibi bestätigen. Anders geht’s nicht, fürchte ich.«
Er beobachtete sie aufmerksam. Sah ihren verwirrten Gesichtsausdruck. Sie zeigte keine Reaktion. Er ließ sie nicht aus den Augen. Keine Reaktion.
Hilf mir aus der Klemme, Mädchen.
Eine Sekunde.
Zwei Sekunden.
Keine Reaktion.
Reacher hielt den Atem an. Mach mit, Yanni, verdammt noch mal. Noch eine Sekunde, dann ist alles zu spät.
Keine Reaktion.
Dann nickte sie. Sie hatte begriffen. Reacher atmete aus. Gut gemacht . Professionelle Geistesgegenwart. Sie war es gewöhnt, live auf Sendung eine Sondermeldung in ihrem Ohrhörer zu empfangen und sie eine halbe Sekunde später zu wiederholen, als habe sie die Meldung längst gekannt.
»Welches Alibi?«, wollte Emerson wissen.
Yanni sah kurz zu ihm hinüber. Dann zu Rodin.
»Ich dachte, hier ginge es um Jack Reacher«, sagte sie.
»Stimmt«, sagte Emerson.
»Aber das hier ist Joe Gordon«, sagte sie. »Zumindest hat er mir das erzählt.«
»Er hat Ihnen erzählt, er heiße Gordon?«
»Als ich ihn kennengelernt habe.«
»Wann war das?«
»Vor zwei Tagen.«
»Sie haben sein Bild in Ihrer Sendung gezeigt.«
»Das sollte sein Bild sein? Es hat ihm gar nicht ähnlich gesehen. Die Frisur war völlig anders. Überhaupt keine Ähnlichkeit.«
»Welches Alibi?«, wiederholte Emerson seine Frage.
»Für wann?«, fragte Yanni.
»Die Nacht, in der das Mädchen ermordet wurde. Von der reden wir hier.«
Yanni schwieg.
»Ma’am, wenn Sie etwas wissen, müssen Sie es uns jetzt sagen«, erklärte Rodin.
»Ach, das möchte ich lieber nicht«, erwiderte Yanni.
Reacher lächelte in sich hinein. Durch ihre Formulierung war praktisch sichergestellt, dass Emerson und Rodin sie gleich anflehen würden, ihre Story hören zu dürfen. Sie stand da, errötete absichtlich, hielt sich sehr gerade, hatte die obersten drei Blusenknöpfe offen. Sie war eine verdammt gute Schauspielerin, wie vermutlich alle Moderatorinnen.
»Hier geht’s um Beweise«, sagte Emerson.
»Natürlich«, entgegnete Yanni. »Aber können Sie nicht einfach mein Ehrenwort akzeptieren?«
»Wofür?«
»Dass er’s nicht war.«
»Wir brauchen Einzelheiten«, sagte Rodin.
»Ich muss an meinen Ruf denken«, meinte Yanni.
»Ihre Aussage wird nicht veröffentlicht, wenn wir die Anklage fallen lassen.«
»Können Sie mir garantieren, dass die Anklage fallen gelassen wird?«
»Nicht bevor wir Ihre Aussage gehört haben«, antwortete Emerson.
»Dann stecken wir in einer Zwickmühle«, sagte Yanni.
»Ja, das stimmt leider.«
Übertreib’s nicht , dachte Reacher. So viel Zeit haben wir nicht.
Yanni seufzte. Schaute zu Boden. Blickte wieder auf und sah Emerson ins Gesicht: wütend, verlegen – großartig.
»Wir haben die Nacht miteinander verbracht«, sagte sie.
»Sie und Reacher?«
»Joe Gordon und ich.«
Emerson deutete auf Reacher. »Mit diesem Mann?«
Yanni nickte. »Mit diesem Mann.«
»Die ganze Nacht?«
»Ja.«
»Von wann bis wann?«
»Ungefähr ab zwanzig Minuten vor Mitternacht. Als die letzte Nachrichtensendung vorbei war. Bis ich morgens angepiepst worden bin, weil Ihre Leute die Ermordete gefunden hatten.«
»Wo waren Sie?«
Reacher schloss die Augen. Erinnerte sich an ihr Gespräch, das sie letzte Nacht in der Tiefgarage geführt hatten. An das Fahrerfenster, das eine Handbreit offen gewesen war. Hatte er ihr das erzählt?
»Im Motor Court«, erklärte Yanni. »In seinem Zimmer.«
»Der Angestellte hat nicht gesagt,
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