Jack Reacher 09: Sniper
irgendeinen Ausweis sehen.«
»Dieser Laden hier war das Zentrum einer kriminellen Verschwörung. Je weniger Sie darüber wissen, desto besser ist’s für Sie.«
»Ich will trotzdem etwas sehen.«
»Wie wär’s mit dem Inneren eines Krankenwagens? Das kriegen Sie als Nächstes zu sehen, Gary, wenn Sie mir nicht Jeb Olivers Adresse geben.«
Der Kerl überlegte einen Augenblick. Betrachtete über Reachers Schulter hinweg die sich bildende Kundenschlange. Entschied sich offenbar gegen eine Auseinandersetzung, die er nicht gewinnen konnte, wenn andere Leute zusahen. Also zog er eine Schublade auf, nahm einen Ordner heraus und schrieb eine Adresse auf ein Notizblockblatt mit dem Firmenzeichen eines Ölfilterherstellers.
»Nördlich von hier«, sagte er. »Ungefähr fünf Meilen.«
»Danke«, sagte Reacher und griff sich den Zettel.
Der Motor des Toyota der Rothaarigen sprang sofort an. Reacher ließ ihn im Leerlauf, während er den Fahrersitz zurückfuhr und die Spiegel einstellte. Dann legte er den Sicherheitsgurt an und platzierte den Zettel vors Armaturenbrett. Das bedeutete, dass er den Tacho nicht sehen konnte, aber dessen Anzeige interessierte ihn ohnehin nicht besonders. Wichtig war nur, wie viel Benzin sich im Tank befand. Der Vorrat reichte offenbar für je fünf Meilen hin und zurück völlig aus.
Jeb Olivers Adresse bestand nur aus einer Hausnummer an einer Rural Route. Leichter zu finden als eine Straße, die Elm Street oder Maple Avenue hieß. Nach Reachers Erfahrung gab es in manchen Kleinstädten mehr Straßen mit Baumnamen als richtige Bäume.
Er fuhr vom Parkplatz auf die Straße hinaus und folgte ihr nach Norden zu der Kleeblattkreuzung am Highway. Dort stand der übliche Schilderwald. Reacher fand die Straßennummer, die er suchte, und folgte den Wegweisern erst nach Osten, dann wieder nach Norden. Der kleine Geländewagen, dessen Inneres nach Parfüm roch, lief wie ein Uhrwerk.
Das West-Ost-Teilstück der Strecke schien zu einer wichtigen County Road zu gehören. Aber nach der Abzweigung in Richtung Norden wurde das Asphaltband schmaler und hatte ausgefranste Ränder. Auf beiden Seiten der Straße lagen Felder. Irgendeine Winterfrucht wurde auf riesigen Kreisflächen angebaut. Speichenförmige radiale Beregnungsarme drehten sich langsam. Die nicht bewässerten Ecken der Felder waren unbepflanzt und steinig. Diese Methode, Quadrate mit Kreisen auszufüllen, vergeudete über einundzwanzig Prozent der genutzten Fläche, aber Reacher vermutete, dass sie sich in Gebieten lohnte, in denen Farmland reichlich vorhanden und Beregnungsanlagen teuer waren.
Er fuhr vier Meilen weit durch Felder und kam an einem halben Dutzend Fahrspuren mit jeweils einem Briefkasten am Ende vorbei. Auf den Briefkästen standen Nummern, und die Fahrspuren führten nach Osten oder Westen zu kleinen Farmhäusern, die mit durchhängendem Dachfirst ungefähr zweihundert Meter von der Straße entfernt standen. Er verfolgte die Nummern und wurde langsamer, bevor er Olivers Haus erreichte. Es besaß einen Briefkasten, der wie alle anderen auf einer kleinen Säule aus zwei Hohlblocksteinen stand. Die Hausnummer war mit weißer Farbe auf ein mit Draht an der Säule befestigtes Sperrholzrechteck gepinselt. Die schmale Fahrspur bestand aus zwei schlammigen Rillen mit einem von Unkraut überwucherten Mittelstreifen. Im Schlamm zeichneten sich Reifenspuren ab. Neue Reifen, superbreit, aggressiv, von einem großen Pick-up. Nicht die Ausführung, von der man vier Stück für neunundneunzig Dollar erwerben konnte.
Reacher bog von der Straße ab und ließ den Toyota die Fahrspur entlangholpern. An ihrem Ende standen ein mit Holz verkleidetes Farmhaus und dahinter eine Scheune, neben der ein frisch gewaschener roter Pick-up parkte. Der Truck – ein Dodge Ram, vermutete Reacher – stand so, dass er den massiven verchromten Kühlergrill sehen konnte. Er parkte davor und stieg aus. Das Haus und die Scheune waren etwa hundert Jahre alt. Der nur etwa einen Monat alte Pick-up hatte den großen Motor mit Halbkugelbrennräumen, die Doppelkabine und Allradantrieb und Breitreifen. Wahrscheinlich war er mehr wert als das Haus, das so baufällig wirkte, als würde es den nächsten Winter nicht überstehen. Die Scheune sah nicht besser aus. Aber am Tor waren neue Eisenbügel angebracht, durch die ein U-förmiges Bügelschloss gesteckt war.
Das einzige Geräusch war ein fernes Regenplätschern, als die Arme der Beregnungsanlagen sich langsam
Weitere Kostenlose Bücher