Jack Reacher 09: Sniper
Aber er handelt nebenbei auch mit Drogen.«
»Wirklich?«
Reacher nickte. »Hinter seinem Haus steht eine Scheune, deren Tor mit einem teuren Schloss gesichert ist. Vielleicht ein Methedrinlabor, vielleicht ein Lagerraum. Er telefoniert sehr viel mit seinem Handy und fährt einen Pick-up, der das Doppelte von dem kostet, was ein kleiner Verkäufer für Autozubehör im Jahr verdient. Und er wohnt bei seiner Mutter.«
»Was beweist das?«
»Drogenhändler wohnen überdurchschnittlich oft bei ihrer Mutter. Das habe ich in der Zeitung gelesen.«
»Wie kommt das?«
»Sie haben meist kleine Vorstrafen und würden bei der Überprüfung von den meisten Vermietern abgewiesen.«
Helen schwieg.
»Gestern Abend waren sie alle high«, erklärte Reacher. »Alle sechs. Vermutlich hatten sie Speed eingeworfen, wenn ich daran denke, wie die Rothaarige heute ausgesehen hat. Sie war ganz anders. Richtig down, als hätte sie einen Amphetaminkater.«
»Sie haben unter Drogen gestanden? Dann können Sie von Glück sagen.«
Reacher schüttelte den Kopf. »Wer sich mit mir anlegen will, sollte am besten ein paar Aspirin schlucken.«
»Was schließen wir daraus?«
»Sehen Sie sich die Sache aus Jeb Olivers Blickwinkel an. Er hat etwas für jemanden getan. Teils Arbeit, teils Gefälligkeit. Tausend Dollar wert. Das muss für jemanden aus einer seiner Seilschaften gewesen sein. Und diesen Auftrag hat er vermutlich nicht vom Geschäftsführer des Ersatzteilladens bekommen.«
»Sie glauben also, dass James Barr mit einem Drogenhändler zu tun hatte?«
»Nicht unbedingt zu tun. Aber vielleicht hat er aus noch unbekannten Gründen einen gedeckt.«
»Damit wird der Einsatz höher«, meinte Helen.
»Geringfügig«, sagte Reacher.
»Was sollten wir jetzt tun?«
»Ins Krankenhaus fahren. Um Dr. Mason feststellen zu lassen, ob Barr den Gedächtnisverlust etwa nur simuliert. Tut er das, besteht die schnellste Lösung darin, ihn mit den Fäusten zu bearbeiten, bis er auspackt und uns die Wahrheit sagt.«
»Was ist, wenn er nicht simuliert?«
»Dann gibt’s andere Möglichkeiten.«
»Welche?«
»Später«, antwortete Reacher. »Erst mal wollen wir hören, was die Seelendoktoren sagen.«
Helen Rodin fuhr mit ihrem Saturn, in dem ihr Kollege Alan Danuta vorn neben ihr saß, während Reacher den Rücksitz für sich allein hatte, zum Krankenhaus. Mason und Niebuhr folgten ihr in dem Taurus, den sie an diesem Morgen in Bloomington gemietet hatten. Die beiden Wagen parkten nebeneinander auf dem großen Besucherparkplatz. Dann stiegen alle aus und standen einen Augenblick beieinander, bevor sie sich auf den Weg zum Haupteingang machten.
Grigor Linsky beobachtete, wie sie davongingen. Er saß fünfzig Meter von ihnen entfernt auf der anderen Seite des Parkplatzes in dem Cadillac, den Jeb Olivers Mutter die Nacht zuvor gesehen hatte. Er ließ den Motor laufen, während er sein Handy ans Ohr hob. Der Zec meldete sich nach dem ersten Klingeln.
»Ja?«, sagte er.
»Der Soldat ist verdammt gut«, sagte Linsky. »Er war bereits draußen im Haus des Jungen.«
»Und?«
»Nichts. Der Junge ist nicht mehr dort.«
»Wo ist er?«
»Verteilt.«
»Wie?«
»Kopf und Hände sind im Fluss. Der Rest liegt unter zwei Meter Schotter in einem Abschnitt der First Street, der heute asphaltiert wird.«
»Was passiert jetzt?«
»Der Soldat und die Anwältin sind im Krankenhaus. Mit drei anderen – einem Anwalt und zwei Ärzten, vermute ich. Zu Hilfe gerufene Spezialisten für rechtliche und medizinische Fragen, denke ich.«
»Bleiben wir entspannt?«
»Unbedingt. Sie müssen’s versuchen. Das schreibt das hiesige System vor, wie du weißt. Aber sie werden keinen Erfolg haben.«
»Sorg dafür, dass sie keinen haben«, sagte der Zec.
Das Krankenhaus lag am Stadtrand und war deshalb relativ weitläufig. Beschränkungen durch eine vorgegebene Grundstücksgröße hatte es hier offenbar nicht gegeben. Nur durch die Haushaltsmittel des Countys, vermutete Reacher, die zu Sichtbeton und maximal fünf Stockwerken geführt hatten. Der Beton war innen und außen weiß gestrichen, und die Stockwerke wirkten ziemlich niedrig. Aber ansonsten sah der Bau wie jedes andere Krankenhaus aus. Und er roch wie jedes andere nach Verfall, Krankheit und Desinfektionsmitteln. Reacher hatte eine ausgeprägte Aversion gegen Krankenhäuser. Er folgte den anderen durch einen hell beleuchteten Gang zu einem Aufzug. Die beiden Psychiater gingen voran. Sie schienen
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