Jack Reacher 09: Sniper
gemeinsam mit ihnen den Wartebereich verließ, sah Reacher ihnen nach. Sobald sie die Stahltür passiert und das kleine Foyer vor dem Aufzug erreicht hatten, lief er den Korridor entlang zu James Barrs Zimmer. Er klopfte nicht an. Hielt nur einen Moment inne, bevor er die Klinke drückte und eintrat.
7
Das Krankenzimmer war so überheizt, dass man darin Hühner hätte braten können. Sein breites Fenster verschwand hinter einer weißen Jalousie, die als Sonnenschutz diente. Ihre Lamellen, die zu glühen schienen, erfüllten den Raum mit sanftem weißen Licht. Überall standen medizinische Geräte herum. Ein Beatmungsgerät, das nicht angeschlossen war. Zwei Tropfe an einem Ständer und ein piepsender Herzmonitor. Schläuche, Beutel und Kabel.
Barr lag auf dem Rücken in dem mitten im Zimmer stehenden Bett. Sein in eine Halterung eingespannter Kopf war rasiert und an den Stellen, wo Löcher hineingebohrt worden waren, verbunden. Die linke Schulter steckte in Verbänden, die bis zum Ellbogen reichten. Die bloße rechte Schulter sah unverletzt aus; die Haut dort war blass und dünn und von Adern durchzogen. Auch Brust und Rippen hatte man bandagiert. Die Bettdecke war bis zur Taille umgeschlagen. Seine gestreckt neben dem Körper liegenden Arme waren mit Handschellen ans Bettgitter gefesselt. Im Handrücken steckten IV-Nadeln, und am rechten Mittelfinger befand sich ein Sensor, von dem aus ein graues Kabel zu einem Überwachungsgerät führte. Unter seinem Brustverband kamen die roten Kabel hervor, die ihn mit dem Herzmonitor verbanden. Die grünliche Linie auf dem kleinen Bildschirm erinnerte Reacher an die Aufzeichnung der Schüsse durch den Mobilfunkbetreiber: steile Spitzen und dazwischen lange Senken. Bei jeder auf dem Monitor erscheinenden Spitze gab das Überwachungsgerät ein gedämpftes Piepsen von sich.
»Wer ist da?«, fragte Barr.
Seine Stimme klang schwach, blechern und langsam. Und ängstlich.
»Wer ist da?«, wiederholte er. Da er seinen Kopf nicht bewegen konnte, war sein Blickfeld stark eingeschränkt. Seine Augen bewegten sich von links nach rechts, von oben nach unten.
Reacher trat näher ans Bett. Beugte sich über ihn. Schwieg.
»Sie?«, sagte Barr.
»Ich«, sagte Reacher.
»Warum?«
»Sie wissen, warum.«
Barrs rechte Hand zitterte. Das versetzte das Sensorkabel in leichte Schwingungen. Gleichzeitig klirrte die Handschelle leise gegen das Bettgestell.
»Ich fürchte, ich hab Sie enttäuscht«, bemerkte er.
»Das fürchte ich auch.«
Reacher behielt Barrs Augen im Blick, weil sie der einzige Teil seines Körpers waren, der sich bewegen konnte. Zu Körpersprache war er nicht imstande.
»Ich kann mich an nichts erinnern«, erklärte Barr.
»Wirklich nicht?«
»Ich weiß echt nichts.«
»Ist Ihnen klar, was ich mit Ihnen mache, wenn Sie mich verarschen?«
»Ich kann’s mir denken.«
»Verdreifachen Sie’s«, sagte Reacher.
»Ich will Sie nicht verarschen«, sagte Barr. »Ich kann mich nur an nichts erinnern.« Seine Stimme war ruhig, hilflos, verwirrt. Nicht die eines Mannes, der sich verteidigen oder beschweren wollte. Nicht entschuldigend. Sie stellte lediglich eine Tatsache fest, was fast nach einer Klage, einem Appell oder einem Aufschrei klang.
»Erzählen Sie mir von dem Spiel«, forderte Reacher ihn auf.
»Es ist im Radio gekommen.«
»Nicht im Fernsehen?«
»Ich höre lieber Radio«, antwortete Barr. »Wie in der guten alten Zeit. Wie’s in meiner Jugend war. Das Radio, die weite Entfernung bis von St. Louis. All diese Meilen. Sommerabende, warmes Wetter, die Baseballübertragung im Radio.«
Er verstummte.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte Reacher.
»Ich hab schlimme Kopfschmerzen. Ich bin operiert worden, glaub ich.«
Reacher sagte nichts.
»Baseball im Fernsehen gefällt mir nicht«, fuhr Barr fort.
»Ich bin nicht hier, um mir Ihre Medienpräferenzen anzuhören.«
»Sehen Sie sich Baseball im Fernsehen an?«
»Ich habe keinen Fernseher«, sagte Reacher.
»Echt nicht? Sie sollten sich einen zulegen. Es gibt schon welche für hundert Dollar. Ein kleiner kostet wahrscheinlich noch weniger. Schlagen Sie in den Gelben Seiten nach.«
»Ich habe kein Telefon. Auch kein Haus.«
»Warum nicht? Sie sind nicht mehr bei der Army.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Niemand ist noch in der Army. Keiner von damals.«
»Manche Leute schon«, widersprach Reacher, der an Eileen Hutton dachte.
»Offiziere«, sagte Barr. »Sonst niemand.«
»Ich war ein
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