Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
er zu dem Schluß gekommen war, daß kein Anlaß zur Sorge bestehe. Jack hatte vorher noch nie versagt, und die bittere Erfahrung überzeugte ihn davon, daß die anderen ihn genauso verachteten, wie er selbst sich verachtete.
Cathy hatte ein Einzelzimmer. Ihr Arm war in Gips. Ein großes blaurotes Mal zog sich über ihre rechte Gesichtshälfte, und die halbe Stirn wurde von einem Verband bedeckt. Ihre Augen waren offen, aber fast leblos, und starrten auf einen Fernseher, der nicht lief. Jack ging wie betäubt zu ihr. Eine Schwester hatte einen Stuhl ans Bett gestellt. Er setzte sich und nahm Cathys Hand, während er nach Worten suchte, die er dem Menschen sagen konnte, den er schwer enttäuscht hatte. Ihr Gesicht wandte sich zu ihm. Ihre Augen waren dunkel und voller Tränen.
«Entschuldige, Jack», flüsterte sie.
«Was?»
«Ich habe gesehen, daß sie mit dem Gurt spielte, aber ich habe nichts gesagt, weil ich es eilig hatte - und dann kam dieser Transporter, und ich hatte keine Zeit zu ... Wenn ich nachgesehen hätte, ob sie richtig angeschnallt war, wäre ihr fast nichts passiert ... Aber ich hatte es eilig», schloß sie und blickte fort. «Jack, es tut mir so leid.»
Mein Gott, sie gibt sich die Schuld ..., was soll ich jetzt sagen?
«Sie wird durchkommen, Schatz», brachte er, noch benommen von dem, was er eben gehört hatte, hervor. Er drückte ihre Hand an sein Gesicht und küßte sie. «Und du wirst auch wieder ganz gesund. Das ist das einzige, worauf es ankommt.»
«Aber ...» Sie starrte auf die Wand gegenüber.
«Kein ‹aber›.»
Sie sah ihn wieder an. Sie versuchte zu lächeln, doch aus ihren Augen quollen Tränen. «Ich habe mit Doktor Ellingstone vom Hopkins gesprochen - er kam rüber und hat nach Sally gesehen. Er sagt, sie wird wieder gesund. Er sagt, Shapiro hat ihr das Leben gerettet.»
«Ich weiß.»
«Ich hab' sie noch nicht mal gesehen ... Ich erinnere mich, wie wir gegen die Brücke prallten, und dann bin ich erst vor zwei Stunden wieder aufgewacht. Oh, Jack!» Sie umklammerte seine Hand. Er beugte sich vor, um sie zu küssen, doch ehe ihre Lippen einander berührten, fingen sie beide an zu weinen.
«Es ist alles in Ordnung, Cathy», sagte er und begann zu glauben, daß es wirklich so war oder wenigstens bald sein würde. Seine Welt war nicht untergegangen, nicht ganz.
Aber jemand anderes kann sich darauf gefaßt machen, daß seine untergeht, sagte Ryan sich. Es war ein kühler, nüchterner Gedanke in einem Teil seines Verstands, der sich bereits mit der Zukunft beschäftigte. Der Anblick der Tränen, die seine Frau weinte, weil ein anderer ihr das angetan hatte, löste in ihm einen kalten Zorn aus, der sich erst wieder legen würde, wenn dieser andere tot war.
Man kann nur eine gewisse Zeit weinen; es ist, als nähme jede Träne eine winzige Menge des Schmerzes mit. Cathy hörte zuerst auf. Sie wischte ihrem Mann mit der Hand die Tränen vom Gesicht. Zum erstenmal lächelte sie richtig. Jack hatte sich nicht rasiert. Seine Haut war wie Schleifpapier.
«Wie spät ist es?»
«Halb elf.» Jack brauchte nicht auf die Uhr zu sehen.
«Du mußt schlafen, Jack», sagte sie. «Du mußt auch an deine Gesundheit denken.»
«Ja.» Er rieb sich die Augen.
«Hallo, Cathy», sagte Robby, der in diesem Moment hereingekommen war. «Ich will ihn dir entführen.»
«Sehr gut.»
«Wir haben ein Zimmer im Holiday Inn drüben in der Lombard Street.»
«Wir? Robby, du brauchst doch nicht...»
«Halt den Mund, Jack», sagte Robby. «Cathy, wie geht es dir?»
«Ich habe rasende Kopfschmerzen.»
«Schön, dich trotzdem lächeln zu sehen», sagte Robby leise. «Sissy wird dich nach dem Lunch besuchen. Kann sie dir was mitbringen?»
«Nein, im Augenblick nicht. Vielen Dank.»
«Kopf hoch, Frau Doktor.» Robby nahm Jacks Arm und zog ihn hoch. «Ich werd' ihn später noch mal herbringen.»
Zwanzig Minuten später führte Robby seinen Freund in ihr Motelzimmer. Er holte eine Pillenschachtel aus der Tasche. «Der Arzt hat gesagt, du sollst eine davon nehmen.»
«Ich nehme keine Tabletten.»
«Eine von diesen wirst du aber nehmen, mein Junge. Sie ist schön gelb. Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Du brauchst Schlaf. Da.» Robby schob sie ihm hin und fixierte ihn, bis er sie geschluckt hatte. Zehn Minuten später war Ryan eingeschlafen. Jackson vergewisserte sich, daß die Tür abgeschlossen war, ehe er sich auf das andere Bett legte. Der Pilot träumte, er sähe die Leute, die all das
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