Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
ohne weitere Anhaltspunkte und eine ungefähr zehn Zeilen lange Beschreibung, die vor allem besagt, daß er schlau genug ist, den Mund zu halten. Das Bureau prüft jetzt Leute, die früher mal zu radikalen Gruppierungen gehörten - es ist sonderbar, daß die meisten von ihnen inzwischen richtige Spießbürger geworden sind. Aber wie dem auch sei, bis jetzt hat es noch keinen Erfolg gehabt.»
«Was ist mit den Leuten, die vor zwei Jahren nach Nordafrika geflogen sind?» Damals waren Mitglieder einiger radikaler amerikanischer Gruppen nach Libyen gereist, um sich mit «progressiven Elementen» aus Ländern der Dritten Welt zu treffen. Die Terrorismusbekämpfer des Westens hatten das Ereignis immer noch nicht ganz verdaut.
«Sie haben sicher bemerkt, daß wir keine Fotos aus Bengasi haben, nicht? Unser Agent flog auf - ein scheußlicher Unfall. Es kostete uns die Fotos und ihn den Hals. Zum Glück haben sie nicht rausgekriegt, daß er für uns arbeitete. Wir kennen die Namen einiger Leute, die drüben waren, das ist alles.»
«Ausreiseunterlagen?»
Cantor lehnte sich an den Türrahmen. «Sagen wir, Mr. X. machte eine Urlaubsreise nach Europa - das tun jeden Monat zigtausend Leute. Drüben setzt er sich mit jemandem in Verbindung, und sie bringen ihn hin, ohne daß er seinen Paß ein einziges Mal irgendwo zeigen muß. Es ist ganz leicht, die Agency macht es ja selbst so. Wenn wir einen Namen hätten, könnten wir feststellen, ob er zur entsprechenden Zeit außer Landes war. Aber wir haben keinen Namen.»
«Wir haben überhaupt nichts!» schimpfte Jack.
«O doch. Wir haben all das» - er zeigte auf die Dokumente auf Ryans Schreibtisch - «und noch eine Menge anderer Papiere. Irgendwo da drin ist die Antwort versteckt.»
«Glauben Sie das wirklich?»
«Jedesmal, wenn wir eins von diesen Dingern knacken, stellen wir fest, daß die Information monatelang vor unserer Nase gelegen hat. Die Geheimdienstausschüsse des Senats und des Repräsentantenhauses halten uns das immer wieder vor. Da in dem Stapel ist irgendwo ein entscheidender Hinweis, Jack. Das ist fast eine statistische Gewißheit. Aber es sind wahrscheinlich zwei- oder dreihundert Berichte, und nur einer ist wichtig.»
«Ich habe keine Wunder erwartet, aber ich habe doch damit gerechnet, daß ich einen gewissen Fortschritt machen würde», sagte Jack gelassen. Endlich dämmerte ihm, wie schwierig seine Aufgabe war.
«Das haben Sie auch. Sie haben etwas gesehen, das niemandem aufgefallen war. Sie waren praktisch derjenige, der Françoise Theroux gefunden hat. Und wenn jetzt ein französischer Agent etwas sieht, das nützlich für uns sein könnte, sagen sie es uns vielleicht. Sie wußten offenbar nicht, daß die Geheimdienstbranche Ähnlichkeit mit dem Tauschhandel vergangener Zeiten hat. Wir geben ihnen etwas, und sie geben uns etwas, wenn sie nicht wollen, daß sie nie wieder etwas von uns bekommen. Falls sie dieses Pistolenmädchen kriegen, schulden sie uns einen ganzen Haufen. Sie wollen sie unbedingt haben, sie hat nämlich einen guten Freund des französischen Präsidenten umgelegt. Übrigens, der Admiral und der DGSE lassen Ihnen ausrichten, daß sie sehr zufrieden mit Ihnen sind. Der Chef empfiehlt Ihnen aber, nicht mit der Arbeit zu übertreiben.»
«Erst wenn ich diese Schufte gefunden habe», antwortete Ryan.
«Manchmal muß man relaxen. Sie sehen verdammt schlecht aus. Sie sind müde. Wenn man müde ist, kann man Fehler machen. Wir mögen keine Fehler. Keine Überstunden mehr, Jack - das kommt von Greer selbst. Sie werden das Gebäude um sechs verlassen.» Cantor ging so schnell, daß Jack keine Zeit hatte, etwas einzuwenden.
Er drehte sich wieder zu seinem Schreibtisch, starrte aber einige Minuten zur Wand. Cantor hatte recht. Er arbeitete so lange, daß er die Hälfte der Zeit nicht mehr nach Baltimore fahren konnte, um zu sehen, wie es seiner Tochter ging. Ihm fiel ein, daß seine Frau jeden Tag bei ihr war und oft im Johns Hopkins schlief, um in Sallys Nähe zu sein. Ich bin aber nicht der einzige, der einen Job hat - Cathys Arbeit ist mindestens so schwierig wie meine.
Immerhin habe ich wenigstens etwas geschafft, sagte er zu der Wand. Es war zwar ein Zufall gewesen, und nicht er, sondern Cantor hatte die richtige Verbindung gezogen, aber er hatte genau das getan, was ein Auswerter tun sollte: etwas Sonderbares finden und jemand anderen darauf hinweisen. Er brauchte sich keine Vorwürfe zu machen. Er hatte vielleicht eine Terroristin
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