Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
Es waren eiskalt taxierende Augen, die eine neue Variation des Spiels spielten, an dem er in England teilgenommen hatte. Der Mann war ihm sofort unsympathisch.
«Kennen wir uns?»
«Sergej Platonow.» Sie gaben sich die Hand, nachdem Ryan seinen Teller auf den nächsten Tisch gestellt hatte. «Ich bin Dritter Sekretär der sowjetischen Botschaft. Vielleicht wird mein Foto in Langley mir nicht gerecht.»
Ein Russe, der weiß, daß ich bei der CIA gearbeitet habe! Ryan gab sich Mühe, nicht allzu überrascht auszusehen. Dritter Sekretär konnte leicht heißen, daß er vom KGB war, vielleicht ein als Diplomat getarnter Geheimdienstler oder ein Angehöriger der Auslandsabteilung der KPdSU - als ob es einen Unterschied machte. Ein «legaler» Nachrichtendienstler mit diplomatischer Tarnung. Was mache ich nun? Er wußte schon jetzt, daß er morgen eine Kontaktmeldung für die CIA schreiben mußte, in der stehen mußte, wo und wie sie sich kennengelernt und worüber sie geredet hatten, eine Arbeit, die mindestens eine Stunde kosten würde. Es bereitete ihm Mühe, höflich zu bleiben.
«Sic müssen sich irren, Mr. Platonow. Ich bin Geschichtslehrer. Ich unterrichte an der Marineakademie in Annapolis. Ich bin zu dem Vortrag eingeladen worden, weil ich hier in Georgetown promoviert habe.»
«Nein, nein.» Der Russe schüttelte den Kopf. «Ich erkenne Sie nach dem Foto hinten auf dem Schutzumschlag Ihres Buches. Ich habe letzten Sommer zehn Exemplare davon gekauft, verstehen Sie?»
«Ach.» Jack war wieder überrascht und unfähig, es zu verbergen. «Mein Verleger und ich danken Ihnen, Sir.»
«Unser Marineattache war sehr davon beeindruckt, Doktor Ryan. Er meinte, daß wir die Akademie in Frundse darauf aufmerksam machen sollten, und die Gretschko-Marineakademie in Leningrad auch, soweit ich mich erinnern kann.» Platonow trug dick auf. Ryan durchschaute ihn natürlich, aber ... «Ich selbst habe das Buch ehrlich gesagt nur überflogen. Es schien mir sehr einleuchtend zu sein, und unser Attache sagte, daß Ihre Analyse des Entscheidungsprozesses in Kampfsituationen erstaunlich zutreffend sei.»
«Oh.» Jack versuchte, nicht sichtlich geschmeichelt zu sein, aber es fiel ihm schwer. Frundse war die sowjetische Stabsakademie, die Eliteschule für junge Offiziere, die für Höheres auserkoren wurden, und die Gretschko-Akademie war kaum weniger angesehen.
«Sergej Nikolajewitsch!» rief eine Stimme, die ihm bekannt vorkam. Timothy Riley trat zu ihnen. Riley, ein kleiner, untersetzter Jesuitenpater, hatte in Georgetown den Fachbereich Geschichte geleitet, während Ryan an seiner Dissertation arbeitete. Er war ein kluger Kopf und hatte eine Reihe von Büchern geschrieben, darunter zwei gescheite Werke über die Geschichte des Marxismus, die Ryans Meinung nach ganz sicher nicht ihren Weg in die Bibliothek der Frundse-Akademie gefunden hatten. «Wie geht's der Familie, Jack?»
«Danke, Pater. Cathy arbeitet wieder. Sie haben Sally jetzt ins Hopkins verlegt. Mit ein bißchen Glück werden wir sie nächste Woche nach Hause holen dürfen.»
«Ihre kleine Tochter wird wieder ganz gesund werden?» fragte Platonow. «Ich habe von dem Anschlag auf Ihre Familie gelesen.»
«Ja, wir nehmen es an. Abgesehen davon, daß man ihr die Milz herausgenommen hat, scheint alles einigermaßen in Ordnung zu sein. Die Ärzte sagen, daß sie gute Fortschritte macht, und jetzt, wo sie im Hopkins liegt, kann Cathy jeden Tag nach ihr sehen», sagte Ryan mit mehr Zuversicht, als er wirklich empfand. Sally war ein anderes Kind geworden. Ihre Beine waren noch nicht vollständig geheilt, doch schlimmer war, daß sein springlebendiges Mädchen nun ein trauriges kleines Ding war. Sie hatte eine Lektion gelernt, die Ryan ihr noch wenigstens zehn Jahre lang hätte ersparen wollen - daß die Welt selbst dann ein gefährlicher Ort ist, wenn man einen Vater und eine Mutter hat, die für einen sorgen. Die Lektion war schon für ein Kind hart, für die Eltern war sie noch härter. Aber sie lebt, sagte er sich, ohne sich des Ausdrucks in seinem Gesicht bewußt zu sein. Mit Zeit und Liebe kann man von allem genesen, nur nicht vom Tod. Die Ärzte und Schwestern im Johns Hopkins Hospital versorgten sie wie ein eigenes Kind.
«Eine furchtbare Geschichte.» Platonow schüttelte bekümmert den Kopf. «Es ist schrecklich, unschuldige Menschen anzugreifen.»
«Das ist es in der Tat, Sergej», bemerkte Riley mit der scharfen Stimme, die Ryan nur zu gut kannte. «Pater
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