Jack West 02 - Die Macht der sechs Steine
unsanft auf den Steinboden der halb geöffneten Zugbrücke. Die Säule entglitt ihm und kullerte von ihm weg durch den Turm bis auf die gegenüberliegende Zugbrücke, die dem Dorf zugewandt war. Entsetzt sah Alby, wie die gläserne Säule auf der jenseitigen Brücke zum Liegen kam, genau an der Stelle, wo die Brücke auf ihr Gegenstück traf, das sich jetzt aber von der Tempelburg aus öffnete.
»Alby!«, rief eine Stimme.
Er drehte sich um und sah Wizard am Fuß einer Steintreppe stehen, die zu seiner Rechten im Boden verschwand. Bei ihm war Lily.
Dann aber hörte Alby noch andere Stimmen und blickte sich wieder zur Säule um. Er sah, wie hinter ihr in der Tempelburg einige bis an die Zähne bewaffnete kongolesische Soldaten auftauchten, geführt von einem amerikanischen Marineinfanteristen.
Die Säule lag genau zwischen ihnen und Alby.
Er hörte einen Schmerzensschrei von Zoe und wirbelte herum. Er sah, wie ihre Finger die Kante der halb geöffneten Zugbrücke umklammerten. Sah, wie sie ganz langsam wegrutschten ...
Das geht alles viel zu schnell, schrie er im Geiste. Wie soll man sich denn da entscheiden, bei so vielen Möglichkeiten? Mit Lily abhauen ... die Säule holen ... Zoe helfen ...
Urplötzlich war nur noch Stille um ihn herum, und die Zeit schien für Alby Calvin in Zeitlupe zu laufen.
In der Ruhe seines Kopfes wog Alby seine Möglichkeiten ab.
Von den drei Dingen, die er tun konnte, waren zwei realistisch.
Er konnte es bis zur Säule und anschließend zurück zu Wizard und Lily im Turm
schaffen. Aber das machen und Zoe helfen - das konnte er nicht! Wenn er sich für Ersteres entschied, würde Zoe in den von Krokodilen wimmelnden See fallen und sterben.
Oder er konnte Zoe helfen und sich mit ihr gemeinsam zu Wizard und Lily zurückkämpfen. Aber das würde bedeuten, dass er die Säule diesen Eindringlingen überließ. Und das wiederum würde globale Konsequenzen haben.
Globale Konsequenzen, dachte er.
Die eine Möglichkeit konnte möglicherweise die Welt retten. Die andere würde ein einziges Leben retten: das Leben einer Frau, die ihm am Herzen lag und auch den Menschen, die ihm nahe waren: Lily, Wizard und Jack West.
Das ist einfach ungerecht, dachte er wütend. Ein Kind sollte nicht so eine Entscheidung treffen müssen! Viel zu viel! Viel zu wichtig!
Und dann traf Alby seine Entscheidung.
Eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen.
Die Zeit raste wieder dahin. Alby sprang auf und rannte zurück zu der halb geöffneten Zugbrücke, wo Zoe war.
Er krabbelte mühsam die Schräge der Holzbrücke hoch, indem er sich mit seinen Fingernägeln in das Holz grub. Er erreichte Zoes Finger, die sich über der Kante festklammerten, gerade als sie endgültig abrutschten ...
... doch im letzten Moment erwischte Alby noch eine von Zoes Händen, umklammerte sie mit beiden Fäusten und stemmte sich mit aller Kraft zurück, um sie zu halten.
Zoe unter ihm warf einen hastigen Blick hoch, in ihrem Gesicht lag ein neuer Hoffnungsschimmer. Jetzt, wo sie wusste, dass eine ihrer Hände gehalten wurde, konnte sie mit der anderen den Griff des Mönchs lösen, der an ihrem Gürtel hing. Sie riss ihn von sich los.
Der Mönch schrie auf, als er rückwärts von ihr wegfiel und platschend im Wasser landete. Sofort kreisten mehrere Reptilienschatten ihn ein und zogen ihn in die Tiefe.
Mit Albys Hilfe zog Zoe sich über die Kante der Zugbrücke.
»Danke, mein Junge.«
»Jetzt müssen wir aber hier weg«, sagte er.
Gemeinsam glitten sie auf dem Rücken die steile Zugbrücke hinab und landeten mit den Füßen voraus im Turm. Im letzten Moment sahen sie noch, wie die kongolesischen Soldaten die Säule auf der anderen Brücke liegen sahen und Switchblade darauf aufmerksam machten.
»Verdammt! Die zweite Säule ...«, keuchte Zoe.
Innerlich verfluchte sich Alby, aber er hatte nun einmal seine Entscheidung getroffen. »Hier lang«, befahl er mit fester Stimme und schob Zoe die Steintreppe hinunter in den Turm hinein, bis zu der Stelle, wo Wizard und Lily mit Ono und Cassidy warteten. »Schnell!«, rief Lily. »Hier unten ist ein Fluchttunnel. Los, los!«
Alby wollte gerade hinter Zoe die Treppe hinunterstürzen, da geschah etwas, womit keiner gerechnet hatte. Er wurde von einer Kugel getroffen.
Gerade hatte er hinter Zoe herlaufen wollen, als plötzlich etwas heftig in seine linke Schulter geschlagen war, das ihn herumgewirbelt und drei Schritte nach hinten bis in eine Mauer geschleudert hatte.
Benommen
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