Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
von Männern.
    Der eine war ein Pope, hager und lang, wie ich noch nie einen gesehen hatte. Sein spärlicher, weicher Bart wirkte wie angeklebte Watte. Er beugte sich über mich, während der andere, ein dunkelhäutiger, fast glatzköpfiger Mann, im Hintergrund blieb.
    «Er lebt noch, Gott sei’s gelobt», sagte der Pope zum anderen auf Rumänisch. «Verstehst du mich, Junge?» Ich nickte. «Ich habe deine Spuren im Schnee entdeckt. Du hast einen langen Weg hinter dir, wie es scheint. Als ich das erste Mal bei dir gewesen bin, hast du mich gar nicht wahrgenommen. Allein konnte ich dich nicht tragen, also habe ich Hilfe geholt. Kannst du gehen?» Ich verneinte.
    «Dann versuchen wir es zu zweit. Gigi!», rief er nach hinten. «Du packst ihn bei den Beinen und ich bei den Schultern.» So trugen sie mich hinaus und dann wieder die Treppe durch den Baumtunnel hinauf. Vom restlichen Weg habe ich nur noch ein sanftes Gleiten und Schweben, das Knirschen des Schnees unter den Stiefeln und den dampfenden Atem des Popen auf meinem Gesicht im Gedächtnis.
    Im Pfarrhaus roch es nach Verwesung, wie wenn seinInneres gleich dem Körper eines Menschen verrottete. Sie legten mich in einem kleinen Raum ab, unter mehrere Decken, und der Pope brachte mir eine wässrige Suppe, die zwar geschmacklos war, aber mich ein wenig wärmte. Ich taute auf wie die Speckstücke, die wir im Winter aus der Kammer holten und zuerst über den Ofen hängten.
    Trotzdem verbesserte sich mein Zustand nicht, das Fieber setzte erneut ein, und bei jedem Atemzug schmerzten die Lungen, als ob sie von Messern durchbohrt würden. Jedes Mal, wenn der Pope nach mir sah, knarrten die verfaulten, von Würmern zerfressenen Holzdielen. Das war das erste vertraute Geräusch meines neuen Lebens, und es ist mir, als ob ich es immer noch höre. Selbst mit geschlossenen Augen wusste ich, dass er da war und sich kümmern würde.
    Am nächsten Tag setzte er sich auf meinen Bettrand, tauschte eine Essigkompresse auf meiner Brust aus und wirkte sehr besorgt.
    «Ich werde in die Stadt fahren und einen Arzt holen», sagte er.
    Ich packte ihn am Handgelenk, richtete mich auf, fiel aber in die Kissen zurück. «Bitte, keinen Arzt», sagte ich auf Rumänisch.
    «Du brauchst aber einen.»
    «Kein Arzt!», widersprach ich energischer. Er sah mich lange prüfend an und dachte nach.
    «Ich weiß nicht, was du getan hast, Junge, und wieso du dich fürchtest, aber unter meinem Dach, das auch das Dach unseres Herrn ist, hat jeder Platz.» Er zögerte kurz. «Bist du Rumäne?» Ich nickte. «Du hörst dich aber wie ein Schwabe an, der Rumänisch redet. Wie heißt du?»
    «Jacob, aber Jacob mit
c

    Er begann zu lachen, nahm meine Hand in seine, hielt sie eine Weile fest, dann sagte er: «Nun gut, Jacob mit
c
. Dann hole ich mal unsere
Baba
, sie kennt Mittel gegen alles. Für deine Lungenentzündung wird sie sich auch etwas einfallen lassen.»
    Es ist unklar, ob die Salben der Baba halfen, mit denen sie mich mehrmals die Woche einrieb, oder ihr übel riechendes Gebräu, womit mich der Pope bis zum letzten Tropfen fütterte. Manchmal schien sie mit dem Ergebnis zufrieden, ein anderes Mal sah sie keine Hoffnung mehr und jammerte, mein Körper sei viel zu schwach, sogar ihre einwandfreien und bewährten Rezepte könnten dort nichts ausrichten, wo sie auf eine angeborene Neigung zu Krankheit träfen. Ich sei nur Haut und Knochen, nur noch der Schatten eines Menschen, der wie eine Gans gestopft werden müsse, bevor man sich irgendetwas von einer Medizin versprechen könnte.
    Täglich tauchte der Pope mit einer dicken, sauren Suppe am Bettende auf, half mir, mich aufzurichten, stopfte mir das Kissen in den Rücken, fütterte mich anschließend so hingebungsvoll, als wenn ich sein Kind wäre. Doch bald war ich vom Essen wieder erschöpft und fiel erneut in den Schlaf. Die Baba sagte: «Wenn er bis März überlebt, hat er das Schlimmste hinter sich.»
    Die meiste Zeit verbrachte ich in meinem Zimmer unter den vielen Heiligenbildern. Auch wir hatten zu Hause einige gehabt, doch hier war es eine ganze Sammlung, als ob der Pope gefürchtet hätte, irgendeinen der Heiligen, Erzengel und Kirchenführer zu verärgern, und sie deshalb alle in sein Haus aufgenommen hatte. Hinter dem Haus erhob sich der Hügel. Während der Genesung begleitete mich ein einziger Ausschnitt des Gartens, der sich im offenenFenster spiegelte. Ein Stück Stoff hatte sich zwischen zwei Zaunlatten verfangen und hing entweder

Weitere Kostenlose Bücher