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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ankämpfte, es sank immer schneller. Ich kletterte in letzter Sekunde hinaus und legte mich flach aufs Eis, das sofort zu brechen begann. Wie sonderbar, dass es nicht nachgegeben hatte, als ich sterben wollte, aber jetzt, als ich mein Leben zu retten versuchte. Ich kroch auf dem Bauch weiter, so schnell und doch so vorsichtig ich konnte. Die Risse verliefen in alle Richtungen, bildeten Verästelungen, eine Kletterpflanze aus Eis, die immer schneller wuchs und die Eisfläche unter mir splittern ließ.
    Ich kam auf der anderen Seite an, aber zu welchem Preis! Die Jacke war verloren, und der Pullover wie auch meine übrige Kleidung waren klatschnass. Außerdem drohten die Kälte und die Müdigkeit mich vollkommen zu übermannen, und auch der Schmerz meldete sich zurück. Ich war mir sicher, dass ich die Nacht nicht überstehen würde.
    Der Hügel türmte sich fast uneinnehmbar vor mir auf, kaum war ich einige Schritte vorangekommen, rutschte ich wieder hinab und musste von Neuem beginnen. Als wollte er mich verspotten, warf der Mond sein kaltes, gleichgültiges Licht auf mein unnützes Tun. Es war, als ob alle Menschen gestorben, alles Leben ausgelöscht worden wären, denn als ich über die Ebene, die ich gerade durchquert hatte, zurückblickte, war gar nichts zu sehen. Kein einziger Ort, in dem jemand atmete und schlief oder sich zu jener frühen Stunde an einem schwachen Feuer wärmte.
    Der Himmel war von einer seltenen Schönheit, unter anderen Umständen hätte ich mich geborgen gefühlt. Ich, der alles verloren hatte, was Geborgenheit ausgemacht hatte, Ramina, Katica, Großvater und das Grab. Ich hörte mir beim Atmen zu, die kalte Luft drang in die Lungen ein und dehnte sie, als ob sie platzen würden. Dann stand ich am Anfang einer Treppe, die in eine Senke hinabführte, einen im Hügel eingelassenen, natürlichen Kessel. Junge, dünne Stämme von Lärchen und Birken bildeten einen Tunnel, der den Eindruck der Tiefe noch verstärkte.
    Ich stieg hinab, seltsamerweise hatte ich keine Angst, als ob sie an meiner Stelle zu Hause geblieben wäre. Am Ende der Treppe angelangt, stand ich vor der Ruine einer Kirche, die weiß Gott wer an jenem einsamen Ort gebauthatte. Sie war es, die ich zuvor erblickt hatte, denn auf der einen Seite war der Kessel offen und ging in den steilen Hügelhang über. Längst hatte man Fenster und Türen entfernt, an ihrer Stelle klafften Löcher in den sonst so soliden Mauern.
    Die Dächer des Turms und der Kirche waren eingestürzt, nur ein Gerippe war übrig geblieben. Stützbalken, zwischen denen es hindurchschneite, sodass ich auch im Innern nicht geschützt war. Es lag viel Holz herum, wahrscheinlich waren es Reste der Bänke und des Altars, doch es war feucht, und ohne Streichhölzer war es sinnlos, ein Feuer entfachen zu wollen. Ich suchte fiebrig nach einem trockenen Ort, wo ich mich für einige Stunden hinlegen und vielleicht sogar schlafen konnte. Ich fand eine schmale Treppe, die in die Krypta führte. Dort war es vollkommen dunkel, sodass ich mich an den Mauern entlangtasten musste. Ich spürte, dass in den Wänden Nischen waren, etwa ein Dutzend, tiefe Einbuchtungen, aber leer.
    Ich schob den Schutt aus einer der Ecken, aß mein letztes hartes Stück Brot, den Speck und den Käse und schlief ein. Ich erwachte vom Hungergefühl oder vom Schüttelfrost. Beides hatte mich mit einer solchen Wucht befallen, dass ich meine letzte Stunde für gekommen hielt. Aus der Luke über mir drang ein wenig Sonnenlicht hinein und leuchtete die Nischen aus. Sie waren für die Särge der Toten einer gewissen Familie Baici aus dem Felsen herausgegraben worden. Der Baron Baici und neun seiner Verwandten waren dort begraben worden. Alle Namen waren in eine Steintafel gemeißelt worden, von den Särgen jedoch fehlte jede Spur, die Lücken klafften in der Wand wie ein zahnloser Mund.
    Ich glühte und konnte nicht aufhören zu zittern, meinZähneklappern hallte im schmalen Saal wieder. Mein Schlaf war ein unruhiger Schlummer, von Fieber und Zuckungen durchflutet. Wenn ich erwachte, wünschte ich mir den Schlaf zurück, um den Hunger nicht mehr zu spüren. Kurz vor dem Einschlafen riss ich die Augen wieder auf, weil ich fürchtete, nicht mehr aufzuwachen. Das Licht wurde stärker, das zeigte mir, dass es Mittag war, dann nahm es wieder ab. Doch gerade, als ich mich mit dem Gedanken an eine weitere Nacht an jenem unwirtlichen Ort anzufreunden versuchte, hörte ich von oben schwere Schritte und die Stimmen

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