Jacob beschließt zu lieben - Roman
bewegungslos da oder flatterte schwach im Wind.
Einmal tauchte der Pope mit einem schweren Buch an meinem Bett auf, zwischen dessen Seiten zerquetschte Fliegen klebten. Es handelte von seiner Religion, er wollte mich dazu bringen, es zu lesen, aber als er es mehrere Tage hintereinander unberührt neben dem Bett liegen sah, trug er es wieder hinaus. Später brachte er mir ein anderes mit, in dem das Leben auf einem rumänischen Dorf sehr treffend, wie er betonte, beschrieben wurde. Er entstaubte es mit der offenen Hand, dann überreichte er es mir.
Es war eines der Bücher, die auch im Schulzimmer in Triebswetter auf dem Regal gestanden hatten, allerdings im rumänischen Teil des Raums, ohne dass es einer von uns je angerührt hätte. Denn wir konnten es nicht lesen, unser Rumänien war schon immer deutsch gewesen. Unsere Sprache, unsere Zeitungen, unsere Bücher. Als der Pope merkte, dass ich mich auch diesmal vor dem Lesen drückte, fragte er:
«Kannst du nicht, oder willst du nicht?»
«Ich kann nicht.»
Er setzte sich neben mich, stellte das Buch zwischen uns beide, schlug es auf und begann laut und langsam vorzulesen. Wenn ich etwas nicht verstand, erklärte er es mir. Als sich die Dunkelheit über uns senkte, holte er einen Stuhl und stellte eine Petroleumlampe darauf. Das sollte er auch dann noch so halten, als er ab März morgens das Haus mit einem leeren Sack unterm Arm verließ und nachmittags mit dem vollen Sack auf der Schulter wieder zurückkehrte. Er verschwand damit im Keller, woer mehrere Stunden lang blieb. Abends aber ließ er es sich nicht nehmen, mir vorzulesen.
Mehr und mehr las er allerdings nicht mehr für mich, sondern nur noch für sich selbst. Es machte ihm Spaß, er kicherte oder lachte sogar dabei, dann wiederum wurde er ernsthaft und nachdenklich. So entstaubten der Pope und ich einige seiner Bücher, während ich wieder gesund wurde. Wenn er schlafen ging, durfte ich weiterlesen, was ich immer besser konnte. Wenn das Petroleum ausging, holte er am nächsten Tag neues.
Im März verbesserte sich auch mein Zustand. Ich aß endlich mehr feste Nahrung und konnte dick eingehüllt am Arm des Popen vors Haus gehen und mich auf eine Bank setzen. Von dort aus hatte ich eine gute Aussicht auf den Weg, der bis zum Dorf führte. Das Dorf war durch den Fluss geteilt, den ich überquert hatte, erklärte mir der Pope, der Pamfilie hieß. Wäre ich dem Fluss gefolgt, so wäre ich um den Berg gelaufen – sie nannten den Hügel Berg, weil er weit und breit die höchste Erhebung war – und hätte bald ins Dorf gefunden. Das Dorf sei keine achtzig Kilometer von Temeschwar entfernt, ließ er mich wissen. Das überraschte mich am meisten, denn es bedeutete, dass der Zug in vier Tagen nicht einmal das Banat durchquert hatte.
Der Fluss führte jetzt viel Wasser mit, war angeschwollen und teilte das Dorf in zwei fast gleich große Hälften. Bei Niedrigwasser oder wenn er im Sommer fast ausgetrocknet war, kam man auch zu Fuß rüber, jetzt aber war die einzige Verbindung eine schmale, aus einem Baumstamm bestehende Brücke, die jederzeit mitgerissen werden konnte. Deshalb warteten die Bauern lieber ab, bis der Fluss seine Kraft verlieren würde. Wenn sie sichetwas zu sagen hatten, riefen sie es sich über den Fluss zu. Auch ans Bootfahren war nicht zu denken, denn die Strömung war viel zu stark.
So verbrachte ich die meiste Zeit damit, auf das Wasser zu starren und den Menschen zuzuhören, die über die Strömung hinweg miteinander sprachen und deren Stimmen der Wind bis zu mir trug. Ob der im milden, milchigen Licht funkelnde Strom ihre Sätze, die unterwegs zum anderen Ufer waren, verschluckte, so wie es die Donau mit den Gebeten von Fredericks Landsleuten getan hatte, weiß ich nicht.
Jeden Tag stieg Popa Pamfilie den kaum sichtbaren Weg hinauf, der hinter dem Haus begann, und verschwand bald im Dickicht. Meistens schlief ich auf der Bank ein, ich überließ mich dem Schlaf, wie wenn darin irgendeine Rettung gesteckt hätte. Nachmittags kam der Pope zurück, er tauchte einfach wieder aus dem Dickicht auf und schritt von seiner Last beschwert an meinem Beobachtungsposten vorbei. Er legte den Sack ab, grüßte, wischte sich den Schweiß von der Stirn und holte aus dem Haus zwei Gläser und eine Schnapsflasche. «Es ist Schnaps von Pflaumen, die hier auf dem Hügel wachsen. Auf besonderem Boden sozusagen. Trink nur, davon wirst du mehr als lebendig.»
Er spuckte sich in die Hände, hievte den Sack auf
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