Jacob beschließt zu lieben - Roman
musste. Ich duckte mich, weil ich dachte, dass manmich entdeckt hatte. Gegen sie und ihre Maschinengewehre hätte ich kaum eine Überlebenschance. In diesem Augenblick beschleunigte der Zug wieder. Die Lokomotive pfiff, als wollte sie mich begrüßen, während in den Waggons meine Leute, denn das waren sie nun alle geworden, sich wie gelähmt vor Angst und Kälte von mir entfernten. Weit und breit war keine Siedlung, nicht einmal ein Haus zu sehen. Ich stand allein in einer endlosen Landschaft.
Doch in der Stille, die jetzt einsetzte, hörte ich Petru nach mir rufen. Er lag seltsam verrenkt auf einer der Schienen, den Rumpf auf der einen und die Beine auf der anderen Seite. Er riss seine Arme hoch, dann ließ er sie wieder sinken, und als ob ihn diese Geste seine letzte Kraft gekostet hätte, fiel sein Kopf leblos auf die Seite. Ich kniete nieder, schob meine Hände unter seinen Rumpf und versuchte ihn hochzuheben, aber sein Unterleib sank wieder zu Boden, nicht anders als die Fleischstücke, die der Metzger in der Stadt auf die Theke klatschte, bevor er die besten Teile vom Knochen trennte. Petrus Eingeweide quollen über meine Arme, ich ließ ihn fallen und wurde ohnmächtig.
* * *
Ich war noch nie wirklich allein gewesen. Selbst wenn ich bei den Toten gewesen war, waren immerhin sie anwesend. Wenn ich in den ersten Morgenstunden ins Haus zurückkehrte und hoffte, dass sich Vaters Wut gelegt hatte, warteten zwei lauwarme Ziegelsteine unter der Bettdecke auf mich. Manchmal auch einige kalte Essensreste auf dem Tisch. In Temeschwar waren Großvater und Katica die ganze Zeit bei mir gewesen.
Dort auf den Schienen, als ich gerade erst zu mir gekommen war, dämmerte mir, dass ich vollkommen auf mich allein gestellt war. Nicht einmal der Schutz, den sich die im Zug Gebliebenen geben konnten – eine Brotrinde weiterzureichen, die Wärme ihrer Körper beim Schlafen, die Rücksichtname beim Verrichten der Notdurft –, würde mir zuteilwerden.
Petrus Blut war längst in den Schnee gesickert, ich schloss ihm die Augen, wie es unser Pfarrer oft getan hatte, und zog seinen Körper von den Gleisen hinunter. Das war das Einzige, was ich noch für ihn tun konnte. Ich entschied mich für eine Richtung, in der man im Mondlicht so etwas wie einen Hügelrücken am Horizont erkennen konnte, und marschierte los.
Ich könnte nicht mehr sagen, wie lange ich herumirrte. Ich lief zuerst über ein nacktes Feld, dann tauchte ich in einen Birkenwald ein, wo ich mehrmals stolperte und hinfiel, sodass meine Kleider zuerst feucht, dann steif wurden. Der Rücken schmerzte immer noch, doch die Unterkühlung bewirkte, dass ich bald nicht einmal mehr den Schmerz spürte.
Ich hatte mir Großvaters Mütze tief ins Gesicht gezogen und die Jacke zugeknöpft, trotzdem zitterte ich am ganzen Körper, und das Vorankommen fiel mir immer schwerer. Wenn ich nicht bald einen trockenen, geschützten Ort finden würde, wäre mein Tod kaum weniger erbärmlich als der Petrus. Ihn, den ich nicht begraben hatte – auch wenn ich es versucht hätte, die gefrorene Erde hätte ihn nicht aufgenommen –, und mich würde einfach der Schnee zudecken.
Ich erreichte einen Fluss, der an manchen Stellen zugefroren war, doch das Eis trug nicht, das war im Mondlichtgut zu erkennen. Nur einen Steinwurf vom anderen Ufer entfernt erhob sich der Hügel, und auf halbem Weg zu seiner Spitze erblickte ich so etwas wie eine Steinkonstruktion, einen Turm mit einem niedrigen Gebäude und einigen Mauerresten. Schlotternd ging ich auf und ab, doch nirgends fand ich eine Brücke oder eine Stelle, wo ich über die Eisschicht hinüberkäme. Als es bereits so aussah, als würde mir nur übrig bleiben, dem Fluss in einer Richtung zu folgen, fiel mir ein fast ganz vom Schnee bedecktes Boot ins Auge.
Ich stieg die Böschung hinab und begann es auszugraben, doch meine Freude war bald verflogen. Es sah so aus, als wäre es leckgeschlagen und dort aufgegeben worden. Ich hockte mich daneben und weinte hemmungslos, doch ich wusste, dass mein Weinen nicht gehört würde. Die Kälte zwang mich zu handeln. Es kostete mich viel Kraft, das Boot frei zu kriegen, und nachdem ich das Loch in der Seitenwand untersucht hatte, hoffte ich, dass es mit ein bisschen Glück für die kurze Fahrt reichen würde. Ich zog die Jacke aus und stopfte sie hinein, dann stieg ich ein und schob mich an den Eisschollen vorbei bis in die Flussmitte.
Das Boot füllte sich mit eisigem Wasser, und sosehr ich auch dagegen
Weitere Kostenlose Bücher