Jacob beschließt zu lieben - Roman
waren mit dem Schutt der zerstörten Häuser aufgefüllt worden. Dort, wo einst das Büro des Direktors gewesen war, der mich dank der väterlichen Geschenke – jedes Jahr ein Schwein – unter seinen Schutz gestellt hatte, klaffte jetzt ein Loch im Dach. In den Schulzimmern standen Bänke und Tische noch, als ob sie auf eine neue Generation warteten. An einer der Tafeln wurde immer noch Weihnachten 1945 gefeiert.
Als ich vor unserem Haus ankam, stellte ich zuerst Muscă ab. Ich wusste nicht genau, was ich dort suchte, aber jener Ort hatte mich magisch angezogen. Ich wusste gar nicht, ob das Haus noch uns gehörte, ob Vater und Mutter vielleicht noch dort lebten und ob Vater womöglich herauskommen und mich ein zweites Mal den Kommunisten ausliefern würde. Und Mutter danebenstünde und schwiege. Und Großvater danebenstünde und auch er schwiege. Oder – und das hoffte ich – ob sie mich nicht doch um Verzeihung bitten würden.
Zwischen solchen Gedanken und Gefühlen schwankend, überquerte ich die Straße, stieß das Gartentor auf und betrat den Garten. Ein letztes Mal schaute ich zu Muscă zurück, als ob mir jener Fremde helfen könnte. Er, der das Ganze neugierig beobachtete, ermutigte mich mit einer Kopfbewegung weiterzugehen.
Zuerst tat sich gar nichts. Unsicher geworden, bereute ich erneut meinen Entschluss, in die Stadt gekommen zu sein und das Haus aufgesucht zu haben. Ob es nicht besser war, wegzugehen und den nächsten Zug irgendwohin zu nehmen? In diesem Moment kam ein großer, zotteliger Hund heraus, gefolgt von einem Mann, der nur mit einer Unterhose und Socken bekleidet war. Sein Bauch quoll über den Rand der Unterhose wie eine Wasserwelle, die aufs Land zurollt. Er schrie mich an und fluchte, so wie nur Rumänen fluchen können.
«Willst du hier einbrechen?», fragte er mich.
«Ich will mich nur umschauen.»
«Willst du betteln?»
«Ich heiße Obertin. Ich habe einmal hier gewohnt.»
Er griff sich an die Stirn, lief ins Haus zurück und kam mit einem Gewehr heraus. «Du Schweinehund, und jetzt willst du hier wieder einziehen? Keinen Schritt weiter, sonst erschieße ich dich.» Der Mann zielte auf mich, sein Hund bellte, und Muscă, den ich hilflos anschaute, als ob er hätte helfen können, lächelte verschmitzt.
«Du gehörst zu den Faschisten, die in meinem Garten all diesen Hitlermüll versteckt haben!», schrie er mich an. «Andere finden Goldschätze, ich aber finde bloß Hitlerfotos. Der Hund hat sie ausgegraben. Ich weiß, wer ihr seid und woher ihr kommt. Aus Triebswetter kommt ihr. Ihr seid früher mal berühmt gewesen, aber jetzt seid ihr nicht mehr wert als die Fliegen auf dem Pferdemist. Wenn du nicht sofort verschwindest, wird die neue Adresse der Obertins das Gefängnis sein. Bei all dem, was ich hier gefunden habe …»
Mir war nicht klar, ob ich mich wirklich in Lebensgefahr befand oder ob das Ganze bloß eine Inszenierungwar, die mich beeindrucken sollte. Aber er hatte uns in der Hand, und er würde sein neues Glück – das Haus, das Mutter mit ihrem amerikanischen Geld gekauft hatte – nicht wieder hergeben. «Und komm nie wieder!», fügte der Mann hinzu. In jenem Augenblick hörte ich das eindringliche Pfeifen von Muscă, der mir andeutete, dass ich zu ihm zurückkehren sollte.
Ich ließ mich neben ihm nieder und spürte meine Erschöpfung. Der Mann stand noch eine Weile auf der Veranda, Gewehr bei Fuß, und ließ uns nicht aus den Augen. Der Hund bellte nun gelangweilt und monoton, seinen Dienst hatte er schon geleistet. Sein Besitzer rammte ihm den Gewehrkolben in die Rippen, fluchte wieder und kehrte ins Haus zurück.
Ich war des letzten Ortes beraubt worden, der für mich in jener Stadt Bedeutung gehabt hatte. Doch anstatt zu toben oder zu fluchen, wurde ich immer schwerer und müder und legte mich neben dem Beinlosen auf den Boden. Wenn es etwas gegeben hatte, was meine Hoffnung genährt und meinen Gedanken eine Richtung gegeben hatte, dann waren das der Hof in Triebswetter und dieses Haus gewesen.
An manchen Abenden und in manchen Nächten auf dem Knochenberg hatte ich mir meine Rückkehr vorgestellt. Ich hatte mir ausgemalt, wie Mutter und Großvater mich ungläubig berühren würden, um sich zu vergewissern, dass ich auch wirklich ich war. Dann würde mir Mutter etwas auftischen und sich um meine Gesundheit sorgen, wie sie es immer schon getan hatte. Vielleicht würde Vater eine amerikanische Platte auflegen und mich zu sich rufen: «Komm her, Jacob!
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