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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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die Kirchen von unserer Liste.
    Dann trug ich Muscă bis kurz vor unser Ziel, die letzten hundert Meter schleifte er sich allein über den Boden, oder er stemmte sich auf die Arme, hob den Rumpf, schaukelte ihn vor und zurück, dann schwang er sich einige Zentimeter vor. Er tat es so, damit ihn alle gut sehen konnten. Er hinterließ im Staub eine kaum sichtbare Spur, wie der Sack, den ich in meiner Kindheit immer zu Ramina geschleift hatte. Ein Schneckenmenschwar er, der für einige wenige Meter viel Geduld und Kraft brauchte.
    Er war geschickt darin, auf die eine oder andere Weise zu Geld zu kommen. Er konnte ebenso gut flehen und Mitleid erwecken wie auch frech und mürrisch sein, wenn man ihm nichts gab. Die Leute fürchteten ihn, denn er verfluchte sie und wünschte jungen Frauen Unfruchtbarkeit und Alten einen einsamen Tod. Er brachte sich immer gut in Position, sodass sie nicht anders konnten, als diesen halben Menschen anzuschauen.
    «Gott schaut zu, wenn du gibst, und ebenso, wenn du nicht gibst», sagte er mit feierlicher Stimme. «Du entscheidest, was er sehen soll.» Gott sah dann viele Hände, die nach ihren Brieftaschen griffen. Warf jemand das Geld in den Staub, rührte er es nicht an. Er war ein Fürst, der seine Untertanen besuchte. Fern von den Blicken der anderen stieg er wieder auf meinen Rücken, und wir verschwanden, bevor eine Patrouille auftauchen konnte.
    Wenn wir die Abende in unserer engen Kammer verbrachten, aßen wir eine dünne Kartoffelsuppe, die uns der Wirt brachte. Wir wuschen und flickten unsere Kleider. «Ich bettle, aber deshalb will ich noch lange nicht wie der letzte Penner aussehen», sagte er. In seiner Welt war einer wie er, der sich ein Zimmer und jede Woche frische Kleidung und ein Bad leistete, noch nicht ganz unten angekommen. Es gab andere, die noch tiefer standen, auf die er wie ein Mann von Welt herunterschaute. Eine Hierarchie des Elends.
    «Wo sind deine Beine geblieben?», fragte ich ihn einmal.
    Er strich sich mit der Hand über die Stümpfe. «Ich war einmal ein Meisterdieb, so wie ich jetzt ein Meisterbettlerbin. Man kann im Leben vieles tun, aber man muss es gut tun. Ein einziges Mal bin ich nicht aufmerksam gewesen und musste vor den Gendarmen fliehen. Ich bin unter ein Auto geraten. Aber ich habe mich erfolgreich umgeschult, wie du siehst.» Er lachte.
    Ich wusch gerade den Pullover, den Mutter mir mitgegeben hatte und für den ich in den letzten Jahren große Sorge getragen hatte. Zusammen mit meiner alten Hose und den ebenso alten Schuhen, der Mütze von Großvater, dem Hemd des Wirts und dem Mantel, den mir der Pope geschenkt hatte, machte das schon meinen ganzen Besitz aus.
    «Hast du schon mal ein Mädchen gehabt? Ich nicht», hörte ich ihn sagen.
    «Habe ich», antwortete ich.
    «Was ist aus ihr geworden?»
    «Sie ist tot.»
    «Es gibt noch viele andere», erwiderte er.
    In jener Nacht blieb Katica in Gedanken bei mir.
    Ein anderes Mal wollte Muscă, dass ich ihm irgendwelche Geschichten erzählte. «Irgendwelche kenne ich nicht, aber solche aus meiner Familie.» Während ich ihm vom Leben von Caspar und Frederick berichtete, flickte er meine Schuhe oder mein Hemd. Im Gegensatz zu den Menschen in Triebswetter, die Frederick noch lange nach seinem Tod verehrt hatten, beeindruckte ihn vor allem Caspar.
    «So einer holt sich mit Gewalt, was er braucht. Würde ich auch tun», murmelte er.
    «Aber er hat die falschen Leute erschossen. Er hat sich im Haus geirrt», widersetzte ich mich.
    «Fast so wie du am ersten Tag, nur dass dieser fetteMann das Gewehr hatte und nicht du.» Muscă beugte sich vor und betonte jedes einzelne Wort: «Es ist doch egal, ob es dein Besitz ist oder nicht. Wenn du etwas willst, musst du schauen, dass du das Gewehr hast.»
    «Und was hat ihm das genützt? Zwanzig Jahre später wurde er erschlagen.» Er seufzte.
    «Du verstehst wirklich nichts. Wichtig ist, dass man sein eigener Herr ist, nicht, wie lange man lebt. Erst dann ist man jemand. Ich ziehe das da noch durch, solange es geht, dann bin ich weg. Ins Gefängnis gehe ich nicht.»
    Er drängte mich jedes Mal dazu, ihm Caspar zu beschreiben, doch weil ich keine Ahnung hatte, wie er ausgesehen haben könnte, erfand ich einen mittelgroßen, drahtigen Mann, dem Muscă nicht unähnlich war. «Also gleiche ich ihm ein wenig, was?» Die Aussicht, dass Caspar ihm ähnlich gewesen sein könnte, gefiel ihm außerordentlich.
    Im Herbst und noch mehr im Winter, wenn das Wetter so schlecht

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