Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
holst?», mischte sich der andere wieder ein.
    Der Wirt trocknete sich die Hände ab, holte einen Schlüsselbund und fragte noch: «Zahlst du?»
    «Habe ich schon mal nicht bezahlt?», wurde ihm aus der Ecke geantwortet. Wir blieben allein, der Fremde hatte sich wieder zurückgelehnt, sodass er nur noch zu erahnen war. Das matte Licht, das in den Innenhof fiel, leuchtete auch die Kneipe aus und offenbarte, wie erbärmlich sie war. Ich war an einem Ort angekommen, um den auch noch die Schichtarbeiter, die Schlaflosen, vielleicht sogar die Säufer einen Bogen machten.
    «Wie nennt man diesen Ort?», fragte ich.
    «Ganz einfach, Kneipe. Sie hat keinen Namen», antwortete er mir.
    «Sie scheint nicht sehr beliebt zu sein.»
    «Ich glaube inzwischen, dass ich der einzige Kunde bin. Bis vor einer Woche hat mich Ticu hierhergebracht, jetzt muss ich extra zahlen, damit man mich trägt.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Komm her, ich zeige es dir.»
    Als ich bei ihm war, schob er ruckartig den Tisch weg, sodass das Glas, aus dem er getrunken hatte, zu Boden fiel und zerbrach. Da sah ich, dass er keine Beine hatte. Er öffnete das eine Hosenbein, krempelte es hoch und kratzte sich an der Narbe. Erst jetzt erkannte ich ihn, es war derselbe Bettler, der Katica und mir damals mit seinem Fluch gedroht hatte. Früher hatte er in den teuren Restaurants der Stadt gespeist, jetzt war er hier gelandet.
    «Ich heiße
Muscă,
weil ich fast nichts wiege. Wie eine Fliege eben. Wer mich herumträgt, spürt mich gar nicht. Und du?»
    Ich zögerte erneut. «Radu.»
    «Ein seltsamer Name für einen, der mit solch einem Schwabenakzent redet.» Er registrierte meine Unruhe, aber sie schien ihm gelegen zu kommen. «Hör mal zu, Schwabenradu! Wenn der Wirt kommt, schicke ich ihn gleich wieder zurück. Er soll dir auch ein sauberes Hemd bringen. Dann machst du dich fein, und wir brechen zusammen zur Stadtgrenze auf. Ich will nur, dass du mich ein wenig trägst, sonst komme ich hier gar nicht weg. Du wirst sehen, du spürst mich gar nicht. Das ist doch nicht viel verlangt dafür, dass ich deine Schulden begleiche.»
    Ich wusch und rasierte mich in einem kleinen Raum mit dem kalten Wasser aus einem Schlauch. Im zersprungenen Spiegel blickte ich mich an und erkannte mich beinahe nicht wieder. Die weichen, glatten Gesichtszüge von einst waren verschwunden, mein Blick wirkte entschlossen, sogarübermutig. Ich zog das Hemd an und kehrte zum Beinlosen zurück. «Für dieses eine Mal trage ich dich.»
    Wortlos rückte Muscă näher und schwang sich geschickt auf meinen Rücken. Ich schob die Hände unter sein Gesäß, er legte den Arm um meinen Hals, dann stand ich auf. Er hatte recht gehabt, er wog fast nichts. Ich machte mich zur Josefstadt auf, ging über den Markt, auf dem matschiges oder vertrocknetes Gemüse und Obst angeboten wurden. Das Geschäft der Frau Österreicher, vor dem ich Katica wiedergetroffen hatte, war immer noch zugenagelt, und über dem Schaufenster war zu lesen:
Die sündhaft gute Bäckerei.
    Im Laden des Friseurs an der Ecke hatte sich inzwischen ein Altwarenhändler niedergelassen, und anstelle der Schneiderei der Madame Liebmann erblickte ich nun einen alten, krummen Tischler. Mosis Kino war geschlossen worden, doch die Plakate der letzten Vorstellung vom Frühling 1949 klebten noch in Fetzen an der Wand. Die Werkstatt
Berger
, die die schönsten Firmenschilder hergestellt hatte, gab es noch, aber nun war sie eine Kooperative geworden.
    «An Mosis Kino kann ich mich gut erinnern», flüsterte Muscă, der bisher bei meinem Irrlauf durch die Josefstadt stumm geblieben war, mir ins Ohr. Hin und wieder war ich stehen geblieben, um ihn besser packen zu können. «Früher hat mich Ticu hierhergebracht, wenn in der Stadt nichts los war. Wir sind da bis zum Abend geblieben, wenn sich die Biergärten gefüllt haben.»
    «Wo ist denn Ticu jetzt?», fragte ich.
    Er spuckte knapp an meinem Ohr vorbei auf die Straße. «Der ist vor einer Woche mit allem abgehauen, was ich vom Betteln zusammengespart habe. Und glaube mir, dasist nicht wenig gewesen. Zehn Jahre hat er mich getragen, dann hat ihm ein Weib den Kopf verdreht, und weg war er.» Anschließend hüllte er sich in Schweigen.
    Die deutsche Schule war ein Lagerraum für Abfall aller Art geworden, durch den man ungehindert spazieren konnte. Die Krater jener Bomben, die uns zuerst in den Bunker und gleich danach zurück nach Triebswetter getrieben hatten, waren noch deutlich zu sehen. Sie

Weitere Kostenlose Bücher