Jacob beschließt zu lieben - Roman
war, dass man niemanden mehr auf den Straßen antraf, verlegten wir uns auf eine andere Sorte von Geldbeschaffung. Wir nahmen uns ein Wohnhaus vor und arbeiteten uns vom obersten Stockwerk planmäßig bis nach unten. Ich setzte Muscă vor einer Wohnung ab und versteckte mich. Manche erschraken, wenn sie ihn sahen, und schlossen gleich wieder die Tür, aber wir warteten ab, denn nicht selten schoben sie später doch noch einige Münzen durch den Türspalt.
Andere, meist Alte, baten uns hinein und boten uns etwas zu essen und zu trinken an. Doch sie wollten immer dasselbe: uns ihr Leben erzählen. Wenn ich ungeduldig wurde, packte mich Muscă am Arm. «Das sind wir ihnen schuldig», flüsterte er. Seine Blicke tasteten unentwegt den Raum nach möglicher Beute ab. Mit den Beinen hatteman ihm nicht zugleich auch den diebischen Instinkt abgenommen. Wenn die Alten aufstanden, um nach Geld zu suchen, schlug Muscă zu. Er fand immer etwas Wertvolles, das klein genug war, um in seine Tasche zu wandern. Aus dem Gehilfen eines Bettlers war ich zu dem eines Diebes geworden.
Die Sehnsucht nach Triebswetter, die erlahmt und auf den Grund meines Selbst herabgesunken war, erwachte von Neuem ein Dreivierteljahr später. Eines Tages lief Pfarrer Schulz so nah an uns vorbei, dass ich Angst bekam, er könnte mich erkennen. Doch vermutlich hätte er es auch dann nicht vermocht, wenn ich ihm offengelegt hätte, wer ich war. Ich folgte ihm dicht auf den Fersen, bis er in einem Hauseingang verschwand.
Es war, als ob sich mir durch unseren Pfarrer alles gezeigt hätte, was einst meine Welt gewesen war: die Eltern, Großvater, der Hof, Ramina. Durch einen Mann, der Katica auf dem Gewissen hatte, der, anstatt sich erschießen zu lassen, den Russen geholfen hatte. Fortan ging ich immer öfter allein zur Ausfallstraße nach Triebswetter und blickte den Autos und den Pferdekarren nach. Es hätte genügt, den Finger zu heben, aber ich tat es nicht.
Ich war inzwischen dahintergekommen, dass ich mit Muscă viel schneller hinter Gittern landen würde als ohne ihn. Doch noch nie war ich näher dran gewesen als an jenem Tag, an dem einer der Alten uns vor die Tür geworfen und die Miliz gerufen hatte. Eine Patrouille nahm unsere Verfolgung auf. Es waren junge, gut genährte Soldaten, und ich hatte alle Mühe, sie abzuhängen. Doch ich, der alle Schleichwege kannte, entwischte ihnen im letzten Moment.
Es war einer der ersten warmen Frühlingstage des Jahres1951, und ich brachte uns zum Begakanal, wo ich erschöpft ins Gras sank. Muscă rollte sich auf die Seite.
«Den knöpfen wir uns vor!», rief er.
«Ich knöpfe mir niemanden vor. Ich bin nicht wie du», antwortete ich, ohne ihn anzusehen. «Ich mache nicht mehr mit.»
Er steckte sich einen Grashalm zwischen die Zähne und lehnte sich zurück. «So ist das also. Ich glaube, du hast nicht richtig zugehört. Ich weiß, wer du bist und wer die Deinen sind.»
Ich packte ihn am Kragen.
«Das wird niemals aufhören, nicht wahr? Du hast zuerst von einigen Wochen geredet, jetzt bin ich schon seit einem Dreivierteljahr hier. Du glaubst, du machst mir Angst mit dem, was du weißt. Aber ich werde aufstehen und gehen, und du wirst es zulassen müssen.»
«Und wenn die Miliz einen Tipp bekommt?», fragte er grinsend.
«Kriegt sie nicht. Kaum tauchst du bei denen auf, buchten sie dich ein. Und dort, wohin sie dich bringen werden, bist du kaum noch dein eigener Herr.»
«Das können auch andere für mich erledigen. Oder ein Brief.»
Ich packte ihn wieder und zog ihn zu mir heran. «Bei all dem, was ich über dich weiß, liegen ein paar Jahre drin», flüsterte ich.
Ich stand auf und steckte mein Hemd tiefer in die Hose. Muscă umklammerte so verzweifelt mein Bein, dass ich ihn erst einige Meter mitschleifte, bevor ich mich frei machen konnte. Seine Stimme zitterte, als er mir zurief: «Was soll aus mir werden?»
«Du brauchst nur in der Kneipe auf den Nächsten zuwarten! Ich aber bin jetzt mein eigener Herr. Das hast du selbst gesagt!», rief ich, trat auf den Gehsteig und ohne einen Blick zurück machte ich mich auf zur Straße nach Triebswetter, wo ich gleich von einem LKW mitgenommen wurde.
Das letzte Stück ging ich zu Fuß weiter und passierte den Zigeunerhügel, auf dem nichts mehr, nicht einmal ein Mauerrest, an Raminas Haus erinnerte, dann überquerte ich die Dorfgrenze. Hatte ich erwartet, dass mein Einmarsch ins Dorf triumphal wäre, dass die Menschen aus ihren Häusern strömen, mich an
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