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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ich nicht mehr den Mann, der einst über uns geherrscht hatte. Doch auch jetzt, als er fast schon alles verloren hatte, wofür er von weit her gekommen war, suchte er nach Auswegen, die er aber zwischen den Schnapsgläsern und den Wortendes Bürgermeisters aus den Augen verlor. Noch immer glaubte er an eine Zukunft, die er bestimmen konnte. Noch immer war ein Zipfel von dem zu erhaschen, was ich früher an ihm bewundert hatte. Den Mann aber, dem ich meine ganze Kindheit hindurch hatte zeigen wollen, dass ich nicht nach meiner Geburt roch, gab es nicht mehr. Ich konnte für diesen hier beinahe Mitleid empfinden.
    Da Vater und ich oft zusammenarbeiteten, sprangen wir beide auf, wenn man unseren Vornamen rief. Ich hatte beim Gruppenführer erwirkt, dass man uns in dieselbe Gruppe einteilte, so konnte ich einen Teil seiner Aufgaben übernehmen. Die Renovierung eines Gebäudes, einen Graben ausheben, Pflastersteine für eine neue Gasse ausladen.
    Ich fragte ihn: «Hast du Durst?», und gab ihm zu trinken. Ich fragte: «Bist du müde?», und schickte ihn an einen schattigen Ort, damit er sich ausruhen konnte. Marian, der früher Feldwächter gewesen war, drückte ein Auge zu, denn er hatte von Vater einst ein Stück Land erhalten. Noch immer verbeugte er sich, wenn er ihn morgens traf. Sein Körper erinnerte sich besser als sein Verstand.
    Vater und ich sprachen nie viel, es gab nichts, was nicht schon längst gesagt oder verschwiegen worden wäre. Täglich um fünf Uhr morgens führten wir die Kühe, die Schweine und die Pferde der Kooperative ins Freie, dann misteten wir schweigend die Ställe aus. Um sieben luden wir zentnerschwere Säcke und Werkzeug auf den Traktoranhänger, und wenn der Fahrer kam, hatten wir noch immer kein Wort gesagt. Erst als wir an unserem Hof – so nannten wir ihn immer noch – vorbeifuhren und Mutter einstieg, sprachen wir und grüßten wir sie.
    Sie gab uns unseren Proviant mit und stieg wenig später aus, um das letzte Stück des Weges zur Mühle zu Fuß zu gehen. Ihre Beine waren geschwollen, sie sahen aus wie Säulen, die ihr Gewicht tragen mussten und nicht nur das des Körpers. Vater blickte ihr nach, und nicht selten fragte ich mich, was er wohl dabei dachte. Ob er manchmal an den Anfang dachte oder schon ans Ende.
    An der Dorfgrenze stiegen weitere müde Bauern ein, und wir fuhren auf irgendein Feld der Kooperative, wo man uns für den Tag eingeteilt hatte. Ich hatte inzwischen schwielige Hände, und an mir wie an Vater haftete dauernd Stall- und Misthaufengeruch. Mittags setzten wir uns beide unter einen Baum und packten unser Essen aus. Er klopfte Eier auf seinem Knie auf, ich schnitt das Brot. «Das ist früher alles meins gewesen», murmelte er einmal.
    Wir arbeiteten den ganzen Nachmittag lang, gebückt und vom Gruppenleiter getrieben, der um sein Ansehen und die Quote besorgt war. Marian, der auf diesen Feldern geschlafen und regelmäßig die ankommenden Stürme verpasst hatte, hatte nun seine wahre Bestimmung gefunden. Wenn wir uns, von der ewig gleichen Bewegung steif geworden, aufrichteten, stand die Sonne schon weit unten am Horizont. Der Klang der großen Glocke drang bis zu uns vor, aber sie holte niemanden mehr heim, sie schlug nur trocken und scharf die Zeit an.
    Am Abend brachten wir das Werkzeug zurück und holten vom Kornspeicher Getreide ab, das wir zum Mahlen zur Mühle transportierten. Mutter stopfte die weit geöffneten Säcke, die aussahen wie die aufgerissenen Schnäbel hungriger Jungvögel, mit Mehl voll. Sie trug immer einen langen Rock und keine Arbeitshosen, dieseVerweigerungshaltung war ihre letzte Verteidigungslinie gegen den endgültigen Abstieg. Nachts, im Bett, flüsterte Vater: «Bald bin ich Kommunist, dann geht es uns besser.» Ich aber dachte inzwischen an etwas anderes.
    Bei den ersten Versammlungen der Schwaben, die ich besuchte, wurde ich freundlich aufgenommen. Ein Obertin sei ein Obertin, auch wenn der Name inzwischen viel von seinem Glanz eingebüßt habe, sagte der Rosshändler. Er legte mir den Arm um die Schulter und führte mich zu den anderen. Sein Sohn Erik war Geologe, er hatte in Paris studiert und war erst nach dem Krieg zurückgekehrt, deshalb war er den Russen entkommen. Wegen seiner Französischkenntnisse war
er
es gewesen, den man mit dem Landkauf in Lothringen beauftragt hatte. Es zeigte sich auch, dass noch viel mehr Jüngere da waren, als ich angenommen hatte. Leute, die erst spät von der Front zurückgekehrt waren oder sich

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