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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Dunkelheit dalag und die Augen schloss. Es fehlte das Gold, das Vater gesät hatte, ohne je etwas ernten zu können. Ich wäre beinahe in das noch nicht zugeschüttete Loch gefallen.
    Die Eltern saßen auf den einzigen zwei Stühlen am Tisch, die Sarelo ihnen zugestanden hatte, ich setzte mich auf eine umgedrehte Kiste. Ich fragte wieder nach Großvater. «Vater ist seit zwei Jahren tot», flüsterte Mutter und bekreuzigte sich.
    Der improvisierte Ofen hatte den einst weißen Verputz der Wände eingeschwärzt, und der Wind trieb den Rauch zurück ins Haus. Wir husteten unentwegt, doch lange wurde kein Wort gesagt, jeder kaute und war in seine eigenen Gedanken vertieft. Mutter stand dann und wann auf, ging mit unseren Tellern zum Herd und schöpfte nach. Es war böhmisches Porzellan, von dem einstigen Service für zwanzig Personen waren nur noch drei angeschlagene Teller geblieben.
    «Ich hätte gern zur Feier des Tages mehr gekocht, aberich hatte nichts mehr», entschuldigte sie sich. Dann kehrte wieder Stille ein, und sie dauerte fast den ganzen Abend, bis der Sprit in der Lampe aufgebraucht war und die Schatten im Raum länger wurden. Erst dann sprach Vater.
    «Bist du gekommen, um dich zu rächen?»
    «Das bin ich heute schon einmal gefragt worden.»
    «Du verhältst dich nicht, wie man es erwarten würde. Ich würde jemanden dafür totschlagen. Du aber schlägst mich nicht, du bist nicht wütend, du fluchst nicht einmal.»
    «Sei froh darum.»
    «Hasst du mich nicht?»
    «Das würde ich gern selber wissen.»
    Er ließ die Schultern hängen, als wären es Fremdkörper. «Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich mir seit Jahren wünsche, anders entschieden zu haben.»
    Wir legten uns schlafen, ich auf den Boden und sie auf ein kaputtes Bettsofa, umgeben vom Essensgeruch und dem Gestank unserer ungewaschenen Körper. Für einen Augenblick ging mir durch den Kopf, dass wohl auch Frederick Obertin und die ersten Kolonisten so gelegen haben mussten. So wie wir ertrugen sie den Mief, die von Minute zu Minute zunehmende Kälte und die Nacht, die sich über uns alle legte.
    Wie im Traum hörte ich Vaters Stimme: «Bald musst du dich entscheiden, ob du mit nach Lothringen fährst oder nicht. Gestern ist der Sohn des Rosshändlers zurückgekommen, er hat Land gekauft, offenbar mehr als genug für alle. Er hat erzählt, dass sie froh über neue Siedler seien, denn viele sind im Krieg gestorben. Sie haben ihm das Land so billig abgegeben, dass er mit dem restlichen Geld noch jede Menge Kühe und Schafe kaufen konnte.»
    «Und ihr beide?», fragte ich.
    «Deine Mutter und ich bleiben hier. Ich habe eine bessere Strategie, als unter Fremden leben zu müssen. Ich habe meine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei beantragt. Wenn ich einmal Kommunist bin, kriegen wir auch das Haus zurück. Dann werden wir sehen, wo der Zigeuner bleibt.»
    «Es ist mein Haus. Morgen werfe ich ihn heraus», murmelte ich.
    «Das tust du nicht, sonst sperrt man dich ein.»
    «Gibt es noch Hoffnung, dass wir den Hof zurückkriegen?»
    * * *
    Einige Wochen lang lebte ich gut von meinen Erzählungen aus Sibirien. Wenn ich mich nicht auf dem Friedhof bei Großvater und Katica oder im Kuhstall der Kooperative aufhielt, wo ich inzwischen auch arbeitete, wurde ich zu den Familien eingeladen, die auf ihre eigenen Heimkehrer hofften. Ich wurde jedes Mal beweint und betatscht, ungläubig gemustert, als ob sie Zeugen eines Wunders wären, des Erfolgs eines längst gesprochenen Gebets.
    Oft brachten mich ihre flehentlichen Blicke, ihre um Fassung ringenden Stimmen so weit, dass ich beinahe den Betrug gestanden hätte. Ein-, zweimal hatte ich sogar dazu angesetzt, doch ihre unermüdlichen Fragen trieben meine Erzählungen weiter an, sie wollten nicht, dass ich damit aufhörte. Sie ließen sich genauso gern verführen, wie ich sie verführte. Ich setzte Speck an, sie stopften mich voll anstelle ihrer Söhne und Töchter, als ob nun mir zustand, was allein für deren Rückkehr gedacht worden war. Ging ich morgens hin, so hatten sie frisches Brot gebacken,schnitten dazu Wurst und Käse und öffneten Gläser mit selbst gemachter Konfitüre.
    Tauchte ich aber abends auf, so dufteten bereits der Lammbraten und das Sauerkraut, und die prallen Knödel in der feinen, bräunlichen Sauce wurden gerade aus dem Ofen geholt. Dann wurde eine neue Flasche Schnaps geöffnet. Mit Geschenken beladen, kehrte ich torkelnd und vom vielen Essen benommen zurück. Manchmal liefen

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