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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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die Gastgeber hinter mir her, weil sie irgendetwas vergessen hatten, was mir Glück oder Schutz bringen sollte, ein Heiligenbild oder ein kleiner Anhänger in Form eines Kreuzes, die ich immer Mutter gab. Im Mund hatte ich den Geschmack meiner Schuld.
    Doch irgendwann erlahmte ihr Interesse, die Einladungen wurden seltener, bis sie ganz ausblieben. Sie hatten gemerkt, dass meine Geschichten vage blieben, dass ich ihnen kaum etwas Konkretes sagen konnte, sosehr ich mich auch darum bemühte, vor ihren Augen die glaubwürdige Geschichte meiner grausamen Deportation entstehen zu lassen. Ich war nicht unglücklich darüber, denn inzwischen hatte ich Angst, entlarvt zu werden. Ich würde teuer dafür bezahlen müssen, dass ich mich an ihrer Hoffnung vergriffen hatte. Schon einmal war ich auf mich allein gestellt gewesen, doch die Rückkehr war mir nur durch die Angst vor Vater und einer erneuten Deportation verwehrt geblieben. Diesmal war es anders. Ich wäre endgültig aus der Gemeinschaft verstoßen worden, da war ich mir sicher.
    Ich arbeitete oft Schulter an Schulter mit Vater, während Mutter bei der Mühle eingeteilt worden war. Eine Tätigkeit, die sie noch krummer, noch jammervoller werden ließ. Unter Schmerzen kehrte sie abends zurück,konnte nur ein paar Schritte machen, dann musste sie sich auf eine der Bänke setzen, die vor jedem Hof standen. Sie gab vor, mit den anderen, die dort saßen, über die Ernte, die Schäden des letzten Sturms, das Kalben einer Kuh oder den Gang der Dinge auf der Welt reden zu wollen. Dann stand sie auf und hielt sich aufrecht, bis sie aus dem Blickfeld der Leute verschwunden war und das Tor hinter sich geschlossen hatte. Erst dann wurde sie wieder schwach, als ob alle Kraft aus ihr gewichen wäre.
    Sie vergaß ihre Haltung, vergaß sich selbst und begrub den Kopf in den Händen. Niemals hätte sie ihren Zustand öffentlich zugegeben, darin blieb sie bis zum Schluss eine Obertin. Vergeblich hatte Vater beim neuen Bürgermeister verlangt, dass man ihr leichtere Aufgaben zuteilte. Die Befriedigung, eine echte Obertin zu quälen anstelle eines Angeheirateten wie Vater, sosehr es dieser auch verdient hätte, war noch größer.
    Vater war nicht nur schmächtiger geworden, ein dünner Mann mit viel zu großen Gliedmaßen, er hatte auch seinen Instinkt verloren, der früher untrüglich gewesen war. Den Instinkt, andere zu beherrschen. Er hielt den Bürgermeister schon deshalb für einen Freund, weil dieser wöchentlich mehrere Stunden mit ihm in seinem Büro verbrachte. Kaum war Vater dort, kam der Schnaps auf den Tisch. Die Flasche wurde bis zum Schluss nicht wieder verschlossen.
    Beim dritten Glas schmatzte der Bürgermeister zufrieden, blickte zu Vater auf und sagte: «Also, Jakob, was tun meine Schwaben? Es ist besser, sie reisen aus, bevor sie ins Lager wandern. Das wäre gut für sie und für die Partei, denn sonst würden sie nur Geld kosten.» Dabei wurde seine Stimme vertraulicher, erzählte Vater zu Hause, undder Bürgermeister beugte sich jedes Mal leicht vor, als ob die beiden Männer ein Geheimnis teilten. Als ob sie gute Freunde wären, die sich ein Glas über den Durst genehmigten. Seine wurstartigen Finger tappten dabei einen Rhythmus auf den Tisch, der nur ihm vertraut war.
    Vater kam jedes Mal betrunken und zufrieden nach Hause, Mutter zog ihn aus, ich wusch ihm die Füße, und wir legten ihn ins Bett. Lallend erklärte er uns, dass der Augenblick nah war, in dem er zum Kommunisten würde und alle unsere Sorgen getilgt wären. Mit jedem Glas rückte der Augenblick näher. Durch Vaters Kehle floss uns eine lebbare Zukunft entgegen. Der Bürgermeister würde dafür sorgen, in einer Woche, in einem Monat, spätestens in einem Jahr. An uns sollte man sehen, dass die Schwaben auch nur Menschen seien.
    «Jakob», schloss der Bürgermeister immer seine Rede an Vater, «du wirst es in der Partei noch weit bringen, du hast das Zeug dazu.» Er zwinkerte Vater zu, goss ihm wieder ein, führte Vaters Hand mit dem Glas an seinen Mund und ließ erst los, wenn es leer war. Aus Vaters Berichten hörte ich heraus, dass der Mann vor allem wissen wollte, ob die Schwaben noch Gold hätten, das auf den Feldern oder ihren Höfen begraben lag. Am Bürgermeister hatte sich Vater zum ersten Mal in seinem Leben die Zähne ausgebissen. Da war einer, der mit noch mehr Wassern gewaschen war als er.
    Blickte ich ihn an, wie er sich dumpf dem Schlaf überließ, wie fleckig seine Haut geworden war, sah

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