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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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erfolgreich versteckt hatten.
    «Ich kann mir nicht vorstellen, dass dich die Franzosen mit offenen Armen empfangen haben», flüsterte ich Erik zu.
    «Haben sie auch nicht», meinte er und zog mich in eine Ecke, wo wir uns ungestört unterhalten konnten. Auf den Dielen des Gemeindesaals breitete er eine Karte des lothringischen Plateaus aus, auf der Dieuse, Moyenvic und Marsal gut zu sehen waren. «Als ich endlich mit dem Präfekten der Gegend sprechen durfte, wollte er mich sofort einsperren lassen. Er hat dauernd ausgerufen, dass ich verrückt sei und dass sein Volk doch gekämpft habe, damit kein Deutscher mehr jenseits des Rheins stehe. Er hat wiederholt: ‹Jetzt wollt ihr uns wieder besetzen, was?› Ich habe viel Geschick gebraucht, um ihn dazu zu bringen, mir zuzuhören, und ihn zu überzeugen, dass wir selberVerfolgte seien und nur zurück in die Heimat unserer Vorfahren wollten. Dass wir sozusagen Vetter seien, auch wenn inzwischen viel mehr deutsches Blut durch unsere Adern fließe. Aber das habe ich ihm natürlich nicht gesagt.»
    «Und das hat ihn überzeugt?»
    «Das und der Koffer voller Gold, den ich bei mir hatte. Einen weiteren habe ich ihm bei unserer Ankunft versprochen. Zuerst hat er geglaubt, die Franz-Josef-Taler seien gestohlen, aber auch das habe ich ihm erklärt. Er hat sich dann beruhigt, als ich ihm versicherte, dass man dem Gold, wenn es einmal eingeschmolzen sei, die Herkunft nicht mehr ansehe. Sie sind arm dort, und der Krieg hat sie noch ärmer gemacht. Aber es gibt einen Haken.» Er lehnte sich zurück und seufzte, als ob ihn etwas bedrückte.
    «Welchen?», fragte ich.
    «Er meinte, seine Leute würden ihn hängen, wenn er uns das beste, fruchtbarste Land überlassen würde. Ich hatte nämlich nicht weit von Marsal unbebautes Land entdeckt, windgeschützt und zum Teil in einer Senke gelegen, ein wenig Wald und ein Fluss, der mittendurch fließt.» Er zeigte auf eine Stelle auf der Karte. «Hier wäre es gewesen.»
    «Und was hast du stattdessen gekriegt?»
    Sein Finger wanderte in einem weiten Bogen weiter südlich, bis zu einer Stelle, wo weit und breit keine einzige Stadt, nicht die kleinste Siedlung vermerkt war.
    «Aber da ist ja nichts zu sehen», bemerkte ich enttäuscht.
    «Da ist auch gar nichts, wir sind ganz isoliert. Der Boden ist schlecht und der Wind unerträglich. Es stehen nurnoch die Ruinen einiger Häuser, es war früher ein Dorf, das aufgegeben worden ist.»
    «Aber das müssen unsere Leute doch wissen!», rief ich, doch er ermahnte mich, leise zu sein.
    «Und dann? Was sollen wir tun? Wir sind hier nicht mehr willkommen», erwiderte er.
    «Vielleicht haben wir das Schlimmste hinter uns.»
    «Liest du keine Zeitungen? Hörst du kein Radio? Wir sind Volksfeinde. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie uns einsperren. Nein, ich habe hier nichts mehr verloren und du auch nicht. Hier kriegst du, wenn du Glück hast, ein paar Jahre hinter Gittern. Drüben hast du immerhin einen Hof und deinen Boden. Er ist schlecht, aber wir sind immer schon fleißig gewesen. Auch als wir hierhergekommen sind, war da nichts. Das sind wir gewohnt.»
    Ich stand auf und lief unruhig vor ihm auf und ab.
    «Setz dich hin!», zischte er. «Sonst merken die Leute, dass etwas nicht stimmt.»
    «Wieso sagst du das ausgerechnet mir?»
    Er zupfte mich am Ärmel, sodass ich mich zu ihm hinunterbeugen musste. «Du bist doch ein Obertin. Es springen immer mehr Leute ab. Aber wenn du mitkommst, sieht es anders aus.»
    «Wer weiß das noch?»
    «Nur du, nicht einmal mein Vater.»
    «Warum das?»
    «Der Alte trinkt zu viel, er würde es jedem erzählen. Ich habe es aber nicht mehr für mich behalten können. Ich wollte, dass es noch jemand weiß.»
    «Hast du keine Angst, dass mich das abschreckt?»
    «Dich? Nein. Du hast doch Sibirien überlebt.»
    In jenem Augenblick hüstelte jemand hinter uns. Es war Seppl, der Wirt, ein Mann, dessen gerötetes Gesicht von den vielen Jahren Zeugnis ablegte, in denen er zwar den ganzen Tag nichts, dafür aber abends die Reste aus den Gläsern seiner Gäste getrunken hatte. Seine Augen glühten, wenn er die Kundschaft mit seinen Witzen unterhielt.
    Neben ihm stand ein mageres, blondes Mädchen, das mich auf den Dorfgassen auch schon verstohlen gemustert hatte. «Meine Tochter», sagte er und schob sie nach vorn. «Ich habe sie holen lassen, damit du sie mal ansiehst. Sie ist hübsch und tüchtig und sucht bald einen Mann. Nicht wahr?» Er legte ihr die Hand auf die

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