Jacob beschließt zu lieben - Roman
in Lothringen», antwortete ich trotzig.
Er sah mich prüfend an. «Jetzt redest du wie ich früher. Du siehst nicht aus wie ich, aber du bist wie ich.»
«Ich bin nicht wie du, auch wenn ich dasselbe will», antwortete ich.
«Das werden wir ja sehen. Es wäre aber besser, wenn du hier bei uns bliebest. Du bist gerade aus Sibirien zurück, genügt dir das nicht?»
Wir setzten uns nebeneinander an die Werkbank und begannen ein altes Radiogerät auseinanderzunehmen, das uns vor Kurzem zur Reparatur gebracht worden war.
Etwas Mächtiges lockte mich trotz allem nach Lothringen. Dasselbe, das mich vom Knochenberg zurück in die Ebene und dann nach Triebswetter getrieben hatte. Der Wunsch nach eigenem Grund und Boden, nach einem Hof, etwas, das für Leute wie mich im Banat und in ganz Rumänien unmöglich geworden war. Ich würde doch nur ein Schweinehüter, ein Ausmister bleiben und eine Schweinehüterin, eine Ausmisterin heiraten. Denn von Vaters Ideen, wie er seine Haut in diesen neuen Zeiten zu retten glaubte, hielt ich nichts, und dem Bürgermeister traute ich nicht. Er würde uns, ohne zu zögern, in einen Viehwaggon stecken.
Ich hätte aber nie zugegeben, dass es noch einen anderen Grund gab, einen ebenso verführerischen, der mich beschäftigte. Seppl hatte ihn in mir eingepflanzt und einen guten Nährboden dafür vorgefunden.
Eines Abends saßen wir auf unseren inzwischen angestammten Plätzen um den Tisch. In der Luft schwebte der süßliche Geruch gebratener Zwiebeln. Mutter massierte sich die Füße, Vater rasierte sich in einem kleinen, zersprungenen Spiegel. «Ich habe mich entschieden, ich reise mit allen anderen ab», sagte ich. Mutter hielt nur kurz in ihrer gleichmäßigen Bewegung inne. Vater zog weiterhin ruhig das Messer über seine Wange. Als er sprach, warseine Stimme ruhig, ohne das leiseste Zeichen der Aufregung: «Jetzt, da du endlich mein Sohn bist.»
«Das ist dir doch früher egal gewesen.»
«Wenn ich könnte, würde ich es ändern.» Er seufzte, wie ich ihn noch nie hatte seufzen hören.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, denn mit so einer Milde hatte ich nicht gerechnet.
«Sag doch auch mal etwas, Mutter! Du sagst nie etwas», forderte ich sie auf.
«Dein Vater hat recht. Bleib bei uns, Jacob. So schlecht wie jetzt kann es uns nicht ewig gehen. Die Kommunisten werden einsehen, dass wir keine Feinde sind.»
«Sie werden nichts einsehen. Sie werden uns eher töten, als das einzusehen!», rief ich und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Am nächsten Abend, als wir gerade von der Arbeit nach Hause zurückgekehrt waren, klopfte jemand so heftig ans Tor, dass wir alle hinauseilten. Sarelo öffnete, doch der Mann drückte sich an ihm vorbei und lief quer über den Hof auf Vater zu. «Ein Unglück ist passiert, Genosse Obertin, kommen Sie schnell!» Vater ließ alles stehen und liegen und lief dem Mann hinterher, ich folgte ihnen in einigem Abstand.
Als ich bei der Mühle ankam, hatten sich bereits etliche Menschen versammelt, und ich musste sie zur Seite schieben, um mir einen Weg hindurchzubahnen. Manche schauten hin, wandten sich schnell wieder ab und bekreuzigten sich. Die Leute, die bei der Mühle arbeiteten, waren von oben bis unten vom feinen Mehlstaub weiß. Ihr Leben war weiß, so wie Mutters Tod. Im Mehl auf ihrem Gesicht hatte sich der Augenblick ihres größten Schmerzes eingegraben. Ihr Unterleib war zerschmettertworden, als sich ihr Rock in den Kammrädern verfangen hatte. Man hatte den Rock abschneiden und sie herausziehen wollen, aber der Tod war schneller gewesen.
Vater war hingesunken, hatte sein Taschentuch befeuchtet und wischte jetzt Mutters Gesicht ab. Er blickte zu mir auf, wie zur Aufforderung, etwas zu unternehmen, und in seinen Blicken lag etwas, das ich noch nie gesehen hatte. Eine Verstörung, die ihn nie wieder verlassen sollte. Ich kniete nieder, aber ich weinte nicht, denn ich hatte all meine Tränen für Katica und Großvater verbraucht.
Wir hoben Mutter hoch und trugen sie durchs Dorf nach Hause. Von überall her, hinter Zäunen und Fenstern, wurde uns nachgeschaut. Sarelo öffnete das Tor, wir trugen Mutter ins Bett, dann kam auch Pfarrer Schulz. Einige Tage später, auf dem Weg zum Friedhof, läuteten nur die kleine und die mittlere Glocke. Der Trauerzug führte am Kirchturm vorbei, und alle sahen hoch, mit dem Klang der größeren Glocke in den Ohren. Als wir nach Hause kamen, zog Vater seine Schuhe aus und stellte sie vor die Tür. Er
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