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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gewesen. Wenn man sich nicht gerade vor dem Feind fürchtete, fürchtete man sich vor dem Freund.
    Die Reiter zogen ihre Stoßdegen heraus und schwenkten sie über ihre Köpfe, dann beugten sie sich im Galopp vor. Caspar stützte die Muskete auf die Gabel und nahm Maß für sein erstes Opfer, er suchte es sorgfältig aus der von Pulverdampf verhüllten Wand aus Menschen und Pferden heraus. «Näher. Noch näher», flüsterte er und zielte. Als er von den Kaiserlichen wegen des höheren Solds zu den Schweden übergelaufen war, hatte er darauf bestanden, seine alte Muskete zu behalten, die weniger handlich war und eine Stützgabel brauchte. Aber er konnte seinen Hauptmann schnell von ihren Vorteilen überzeugen.
    Auf über vierhundert Fuß Entfernung schießen und treffen, dann aus dem Bandelier eine Pulverportion und eine Kugel holen, nachladen, wieder schießen und treffen. Das war Caspars Kunst: auf solcher Distanz zweimal zu töten. Zuletzt berührte der Musketenlauf beinahe den Gegner. Danach griff er nach einer Pike, einem Dolch, einem Schwert und setzte sein Geschäft fort. Er stach in die Leiber hinein, als ob sie ein Stück warmes Brot wären. Er brach die Körper auf wie die guten Schinken, die er aufseinen Raubzügen durch die Gegend einem Bauern entwendete.
    Eigentlich hatte er immer Hunger, auch wenn er kämpfte. Er hatte viel getrunken, um den Rausch zu steigern und um eine sichere Hand zu kriegen, doch gegessen hatte er kaum je genug. Es gab selten Proviant, außer man beschaffte sich ihn. Da war jeder Kampf willkommen, die Fortsetzung des Hungers im Magen war jener nach dem Leben des anderen. In solchen Momenten wurde ihm nur noch vom Totmachen schwindlig. «Sie waren so gut wie tot», sagte er. «Ich habe sie nur ein wenig dahingeschoben.»
    Ich bin mir nicht sicher, ob es Caspar wirklich gegeben hat, zu weit liegt seine Geschichte zurück. Aber es ist sicher, dass diese Geschichte zusammen mit den Lothringern, die Triebswetter gründeten, den Weg ins Banat fand. Sowohl Großvater erzählte sie unentwegt wie auch, so wurde mir versichert, Frederick Obertin. Sie ist so sehr Teil unserer Erinnerung geworden, dass sie nicht mehr wegzudenken ist. Sie gehört als eine Art Gründungsstein der Obertins dazu, erschaffen auf dem Kadaver einer Zeit, in der die Pest, der Hunger und der Große Krieg die Menschen hinwegrafften.
    Caspar hatte sich von der Truppe abgesetzt und war schon tagelang durch den dichten Fichtenwald der Vogesen gezogen, als er sich in einer mondlosen Nacht unter einem Baum niederließ, über dessen mächtige Wurzeln er gestolpert war. Er ertastete den Stamm und schätzte, dass es eine Eiche war. Es gab weiter nördlich, bei Haguenau, Bäume, die nur von mehreren Menschen umfasst werden konnten.
    Überhaupt hatte er im Norden eine gute Zeit erlebt, zuersthatte er zusammen mit den Schweden die Stadt eingenommen, dann waren sie zurückgedrängt worden. Sie hatten andere niedergemetzelt und wurden anschließend selbst niedergemetzelt. Nichts anderes als launiges Kriegsglück. Seit Jahren war es so, und es war ein Wunder, dass er noch lebte.
    Es herrschte um den Baum ein eigenartiger Geruch, den er hätte erkennen können, wenn er nicht zu dumpf und müde gewesen wäre. Er, der sich auf den Schlachtfeldern besser auskannte als bei den Eltern zu Hause in Dieuse. Mit zwölf Jahren war er ihnen durch marodierende Söldner entrissen worden.
    Er erinnerte sich nur noch an Bilder, in denen seine Mutter mit gespreizten Schenkeln und blutüberströmt, tot oder lebendig, das war ihm nicht klar, auf dem Strohbett lag. Der Vater hing wie in der Mitte geknickt über dem Brunnenrand, bevor ihn die Männer hineinstießen. Er erinnerte sich an Pferde, die mit dem Hab und Gut der Familie beladen waren. Aber wie oft hatte er inzwischen auf ähnliche Weise geplündert und keine Gnade beim Rauben und Schänden gezeigt?
    Er war mit den Geräuschen des Waldes in der Nacht nicht vertraut. Die meiste Zeit hatte er in Schanzen und Feldlagern verbracht oder bei den Hübscherinnen und den Glücksspielern, die in einem unübersichtlichen Tross der Armee folgten. Es waren Tausende, die sich vom Krieg ernährten.
    Die Stille der Wildnis, die nie wirklich Stille war, das leise, plötzliche Rascheln, die Rufe der Tiere versetzten ihn mehr in Unruhe als ein Haufen bewaffneter Landsknechte. Er war es nicht gewohnt, allein zu sein. Wenn er kämpfte, kämpften andere so nah, dass sich ihr Blutmischte. Wenn er schlief, schliefen

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