Jacob beschließt zu lieben - Roman
andere dicht an ihn gedrängt, um sich vor der Kälte zu schützen. Wenn sie vergewaltigten, dann taten sie es gemeinsam.
Die Sonne war seit Kurzem untergegangen, und eine feuchte Kühle stieg im Wald auf. Er hatte zittrig eine zerrissene, schmutzige Pelerine um sich gewickelt, war gestolpert und einen dornigen Hang hinuntergerutscht. Dann hatte er gemerkt, dass er die letzte Baumreihe hinter sich gelassen hatte, die sich nun wie ein bedrohlicher Schatten in seinem Rücken erhob.
Er war auf eine Lichtung gelangt, auf der das Gras kniehoch wuchs und die Erde moosig und weich war. Er hoffte, nicht in einem Torfmoor zu landen, wie sie dort häufig vorkamen. Dann würde er weder die Kleider noch sich selbst trocknen können. Er hatte oft gesehen, wohin es führte, wenn man nicht darauf achtete, trocken zu bleiben. Das Fieber, der Schüttelfrost, die Auszehrung des Körpers. Die dümmste Art zu sterben, bei all den dummen Arten, die es gab.
Nachdem er sich eine Weile vorsichtig den Weg durchs Gras gebahnt hatte, hörte dieses so plötzlich auf wie zuvor der Wald. Entweder wuchs dort gar nichts, oder das Gras war niedergetrampelt worden. Er bückte sich, und seine Hand streifte die vielen umgeknickten Halme, dann stießen seine Finger auf eine Vertiefung im Boden, die von einem Pferdehuf stammen konnte.
Dort hatte ein Reitertrupp haltgemacht, vielleicht die Nacht verbracht, vielleicht nur kurz gerastet. Und was, wenn es ein Hinterhalt war und sie ihm auflauerten? Er packte seinen Dolch und duckte sich. Egal, ob Kaiserliche oder Schweden, aufgebrachte Bauern oder beutegierige Landsknechte, alle würden sie ihn töten. Er hätte es nichtanders getan. Seitdem er die Kompanie im Verborgenen verlassen hatte, genoss er keinen Schutz mehr. Er hatte sich selbst ausgesetzt, indem er sich allein nach Lothringen aufgemacht hatte, um zu prüfen, was von seinem Heim übrig geblieben war.
Er hatte gelauscht, bis er vor Kälte steif geworden und fast umgekippt war.
Dabei flüsterte er das Schwedenlied vor sich hin, das sie sogar nach dem Tod von König Gustav weiter gesungen hatten: Auf Gustavs G’sundheit woll’n wir trinken / Der Papisten Glaub wird bald hinken / Der Schwed, der wird ausreiten gar / Die ganze papistische Schar.
Er war dann weitergegangen, war wieder gestolpert und erschrocken. Er lachte über sich selbst, als er merkte, dass es nicht ein Feind, sondern eine Baumwurzel war. Er hatte sich an den Baumstamm gelehnt und war eingeschlafen. Ein einziges Mal war er kurz erwacht, als er zur Seite rutschte und mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug.
Was ihn weckte, war der Geruch. Es war das Erste, was er noch mit geschlossenen Augen wahrnahm. Er schätzte, dass in der Nähe ein großes Tier verendet war, eine Beute der Wölfe oder der Reiter. Aber es stank wie nach zehn verwesten Tieren. Er nahm sich vor, nach dem Kadaver zu sehen, vielleicht war da noch was übrig für ihn, und seien es auch nur Innereien. Er drehte sich auf den Rücken, streckte sich genüsslich und öffnete langsam die Augen.
Über ihm baumelten die Füße der Gehängten. Sie waren dreckverkrustet, die Beine vom gestauten Blut geschwollen. An manchen Füßen waren noch löchrige Strümpfe, die meisten der Gehängten trugen nur ihr Unterhemd. Die morgendliche Brise ließ die Körper leichthin und her pendeln. Die Köpfe waren nach vorne geknickt, als wollten die Toten ihn anschauen, wie die Heiligen in der Kirche. Sie hatten keine Augen mehr, die Raubvögel hatten gründliche Arbeit geleistet.
Er sprang auf, aber nicht weil ihn das Bild erschreckte. Der Tod war ein treuer Geselle gewesen, der treuste von allen. Mehr als die Kameraden, die sich nach Niederlagen davonmachten, oder die Frauen, die sich gern einem beim Beutemachen noch Erfolgreicheren hingaben.
Es ging ihm um die Raubtiere oder um verwilderte Hunde, die von solchen Galgenbäumen unwiderstehlich angezogen wurden. Sie waren die Nutznießer des Krieges. Von Haguenau bis nach Pfirt im Süden lagen überall tote Menschen und Nutztiere, in aufgebrochenen Häusern, auf Landstraßen und Dorfplätzen. Caspar nahm sich in Acht, hungrige Wölfe waren das Letzte, was er brauchen konnte. Hungrige Leute ebenso.
Der Wind wurde stärker, sodass der Nebel aufriss und den Blick bis ins Rheintal freigab. An einem Felsen stand eine Trutzburg wie ein Teil desselben, doch es war unmöglich zu sehen, ob sie noch bewohnt war. Er befand sich auf einem Hochplateau, wohin die Bauern vor dem Krieg im Sommer
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