Jacob beschließt zu lieben - Roman
bestimmt ihre Tiere geführt hatten.
Die Weide stieg auf der einen Seite zu einer kahlen, abgerundeten Kuppe an, auf der anderen Seite fiel sie steil hinab. Gedämpft hörte er in der Schlucht einen Fluss rauschen, vielleicht sogar einen Wasserfall, doch das half ihm nicht, denn er hatte Durst, aber Hunger hatte er noch mehr. Nur kurz dachte er daran, ihn mit dem Fleisch der Gehängten zu stillen.
Er selbst hatte einmal die Leichen von Bauern tagelang vor ausgemergelten Männern und Frauen bewacht. DieSchweden hatten auf dem Friedhof bei Damenkirch, das zu einer Festung ausgebaut worden war, tausendsechshundert Bauern niedergemacht, er alleine an die zwanzig. Dann, entfesselt, wie sie waren, hatten sie die restlichen Bauern bei Blozheim zusammengetrieben und das Dorf an alle vier Ecken angezündet.
Es war eine großartige Aussicht gewesen, von allen Seiten her waren die Flammen aufeinanderzugeeilt und hatten sich in der Mitte vereint. Sie hatten die Überlebenden würfeln lassen, um zu bestimmen, wer zuerst drankommen würde. Obwohl der Unterschied nur wenige Minuten ausmachte, ein paar Atemzüge nur, hatten die Verurteilten diese Gnadenfrist gewünscht. Sich sogar darum geprügelt. Dort hatte Caspar das erste Mal gedacht, dass es nun genug sei und er nach Hause zurückkehren könne.
Er würde die sanften Hügel aufsteigen, tiefer ins Gebirge eindringen, den Lauf der Moselle suchen, der ihn nach Épinal und Toul bringen würde. Von dort bis Nancy und Marsal war nicht mehr viel, und wenn er einmal in Marsal sein würde, wäre er praktisch zu Hause gewesen. Aber erst im Herbst 1635, als die Schweden von den Kaiserlichen geschlagen wurden und sich aus dem Elsass zurückzogen, als er kaum noch Beute machen konnte, war die Zeit dazu gekommen. In aller Frühe hatte er sich aus dem Zeltlager davongemacht.
Die Moselle hatte er nicht gefunden, und anstatt schnell aus den Vogesen wieder herauszukommen, geriet er immer tiefer hinein. Mal ging er durch ein enges, gewundenes Tal, mal blickte er von einem Felsvorsprung in eine Schlucht mit glatten Hängen aus Granit. Er ernährte sich von Baumrinde, Blaubeeren und Gräsern. Einmal hatte erim Stall eines aufgegebenen Guts ein totes Schaf gefunden, ein anderes Mal Trauben an einem verwilderten Weinstock.
An der Eiche lehnte noch die Leiter, die der Priester benutzt hatte, um den Sterbenden die Absolution zu erteilen. Aber dann muss es sich auch um eine geregelte Hinrichtung gehandelt haben. Wieso man dafür diesen abgeschiedenen Platz ausgesucht hatte, wusste er nicht. Auch konnte er die Toten nicht wirklich ansehen, ob sie Bauern, Plünderer, Soldaten gewesen waren, er tippte eher auf das Erste. Er stöberte in der Asche eines Lagerfeuers nach Essensresten, schaute ein letztes Mal umher, ob er was Verwertbares finden konnte, dann setzte er sich in Bewegung. Er überquerte die Weide und tauchte wieder im Dickicht unter. Die Toten blieben sich selbst überlassen zurück.
* * *
Er ging nun bergab durch einen lichten Wald, dessen Boden mit Moos und Farn bedeckt war. Der dünne, bis fast zur Spitze kahle Stamm der Pinien schimmerte rötlich, und in den Büschen wuchs Myrte, von der er sich einige Hände voll in den Mund stopfte. Das Geräusch des herabstürzenden Wassers kam näher, der Hang wurde steiler, und er musste im Zickzack gehen, um nicht auszurutschen.
Der Fluss war angeschwollen, offenbar hatte es an seiner Quelle heftig geregnet. Nachdem das Wasser in mehrere Felsbecken fiel, floss es durch ein zerklüftetes Tal und bildete kleine Teiche. Caspar ging schneller, die Aussicht, seinen Durst zu löschen, ließ ihn leichtsinnig werden. Kaum stand er über einem der Becken, gab der Bodennach, seine Hände griffen ins Leere, und er landete ungebremst im Wasser. Die Strömung war so kräftig, dass sie ihn in die Tiefe riss und dann über den Beckenrand in das dar unterliegende Flussbett.
Obwohl er sofort aus dem Wasser sprang, war er völlig durchnässt. Er suchte fiebrig nach einer trockenen Stelle und fand am Ufer einen schmalen Streifen, auf dem Gras wuchs und an dessen Rand sich Sand abgelagert hatte. Er zog schnell die Lappen ab, die er um die kaputten Schuhe gebunden hatte, dann auch die Schuhe aus, die er einem toten Kaiserlichen abgenommen hatte. Dann folgten die löchrigen Kniestrümpfe und die Hosen, die Pelerine, die Weste und das fleckige Hemd. Dolch und Degen legte er vorsichtig ab.
Er breitete die Kleidungsstücke auf dem Boden aus, aber er hatte wenig
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