Jacob beschließt zu lieben - Roman
in die Kutsche und schlug mit der Peitsche ungeduldig an die frisch gewichsten Stiefeln. Elsa legte eine Halskette aus goldenen Franz-Josef-Talern an, wie sie viele rumänische Frauen im Banat an Festtagen trugen. Jakob rief nach ihr und ermahnte sie zur Eile. Er hatte die goldene Taschenuhr eingesteckt, und auf dem Schoß hielt er das Bündel aus Zeitungspapier. Als Elsa auf der Türschwelle erschien, strahlte sie.
Ihr Vater ging in seinem Zimmer auf und ab. Er wusste, wenn die beiden zurückkommen würden, würde er nur noch Gast in seinem eigenen Haus sein. Es würde eine neue Zeit für die Obertins beginnen.
Als sich das Rattern der Kutsche entfernte, verschwand er im Stall zu seinen Pferden und legte frisches Heu auf. Dann sog er den Geruch der Tiere ein, hielt kurz inne, atmete wieder aus. Mithilfe eines Tagelöhners lud er den Pflug auf den Karren, spannte ein Pferd an und fuhr hinaus aufs Feld, um die Erde ein erstes Mal in diesem Jahr zu öffnen. Die Schnapsflasche nahm er mit. Als er dort ankam, trank er zuerst einmal kräftig, dann beträufelte er den Boden damit.
Vor der Milleniumskirche im Fabrikstadt-Viertel in Temeschwar wartete der Pfarrer ungeduldig am Eingang. Als Jakob aus der Kutsche sprang und Elsa die Hand zum Aussteigen reichte, ergriff sie sie nicht.
«Haben Sie es sich anders überlegt?», fragte er.
«Vater sollte dabei sein. Er war immer dabei.»
«In Amerika ist er nicht dabei gewesen, und Sie haben es überlebt.»
«Sie haben die Schule noch gar nicht beendet», versuchte sie es wieder.
«In zwei Monaten schon. Aber
ich
bestimme, wann ich heirate. Entweder jetzt oder nie.»
«Außerdem sollte es das Dorf sehen.»
«Das Dorf interessiert mich nicht. Kommen Sie!», erwiderte er.
Der Pfarrer winkte ihnen zu, hinter ihm tauchten die zwei Männer auf, die Jakob bezahlt hatte, um ihre Trauzeugen zu sein. Jakob schob seine Hand unter Elsas Oberarm und zwang sie auszusteigen.
«Haben Sie die Ringe dabei?», fragte der Pfarrer.
«Haben wir, und die Trauzeugen sind auch schon da», sagte Jakob.
«Wieso wollen Sie in solcher Eile heiraten?»
«Herr Pfarrer, das ist eine romantische Geschichte, auch wenn wir nicht mehr ganz so jung sind. Man kann sie nicht aufschieben.» Jakob fasste Elsa bei den Schultern und zog sie an sich.
«Sie sind nicht etwa schwanger?» Der Mann prüfte Elsas Bauch ganz genau.
Jakob trat einen Schritt auf ihn zu und beugte sich, um ihm ins Ohr zu flüstern: «Herr Pfarrer, ich bezahle Sie nicht fürs Fragen. Wenn Sie nicht mehr wollen, dann sagen Sie es nur ruhig. Und wegen des Geldes, das Sie einstecken wollten … Irgendwo sitzt bestimmt ein Vorgesetzter, der das gern erfahren will.»
Sie schritten die Kirche durch den Mittelgang ab. Durch die hohen, schmalen Fensterbögen drang nur wenigLicht. Vor dem Altar, als ob er erneut unsicher geworden wäre und die Trauung, wenn nicht verhindern, so doch aufschieben wollte, drehte sich der Pfarrer noch mal um: «Wollen Sie nicht vorher beichten? Gibt es da nichts, was zwischen Ihnen und Gott stehen könnte?» Elsa nickte ihm zu, sie setzten sich am Ende einer Bankreihe nebeneinander und steckten wie zwei Komplizen die Köpfe zusammen.
Eine Zeit lang hörte Jakob nur Elsas Flüstern, dann seufzte sie, als ob sie weinte. Währenddessen holte er aus dem Zeitungspapier die Trauringe heraus, den größeren schob er sich probeweise über den Mittelfinger.
«Und Sie?», fragte der Pfarrer, als Elsa fertig geworden war.
«Ich?», fragte Jakob überrascht.
«Ja, vielleicht haben Sie eine Schuld, die Sie beichten wollen.»
«Herr Pfarrer, wo denken Sie denn hin?», antwortete Jakob. «Meine einzige Schuld bisher war, arm zu sein.»
Im staubigen Raum lagerten Marienbilder und -statuen, Kreuze mit und ohne Jesus und in einem Kessel geschwärzte Kerzenstummel. Sie alle hatten ihren Dienst an Gott getan und waren ausrangiert worden. Dort wurden die kurze Zeremonie gehalten und die Papiere ausgefüllt und unterschrieben.
«Mit welchem Namen soll ich Sie beide eintragen?», fragte der Pfarrer.
«Mit Obertin», meinte Jakob.
«Das geht nicht, so heißt die Braut.»
«Und jetzt auch der Bräutigam.»
«Das geht nicht.»
«Das geht, glauben Sie mir.» Es ging.
Zum Schluss überreichte Jakob jedem der drei Männer Geldbündel, die er aus Elsas Tasche hervorgekramt hatte. Vor der majestätischen Milleniumskirche in der lauschigen, von alten Eichen und Ahornbäumen gesäumten Fabrikstadt fragte der Pfarrer Jakob, als
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