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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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würde, auch dann nicht, wenn er sich wiederholte, wartete er meine Reaktion gar nicht ab, sondern legte gleich los.
    «Seitdem es uns Obertins gibt, gehören Katastrophen dazu», sagte er. «Mir kommt es manchmal vor, als ob der Krieg aus Caspars Zeiten gar nicht aufgehört hätte. Es geht endlos weiter.» Dann erzählte er wieder vom Lothringer im Dienste der Schweden, der eines Tages entschieden hatte, sich auf den Weg nach Hause, nach Dieuse, zu machen, dann die Vogesen überquerte, und als er auf dem stand, was er für seinen Boden hielt, fast eine ganze Familie umgebracht hatte, bevor er am selben Ort eine eigene gründete.
    Während ich ihm nur halb zuhörte, mich umsah und in allen Ecken Katica erblickte, während der Wein durch meine Adern floss und sich die Nacht über das Dorf senkte, bildete sich in mir die Gewissheit, dass ich nie wieder würde lieben können.
    Das war vor vier Monaten gewesen. Vor etwas mehr als einer Stunde war eine ganze Lastwagenkolonne von der Hauptstraße in den ungepflasterten Weg abgebogen, der zu unserem Dorf führte. Obwohl es später Nachmittag war und es dunkel wurde, konnte sie der Feldwächter gut sehen, aber er hatte keine Zeit mehr, um Alarm zuschlagen. Die Russen waren schneller als jeder Sturm gewesen.
    Klein gewachsene, stämmige Soldaten mit mongolischen Gesichtern diesmal sprangen vor der Kirche aus einigen Wagen, während andere bis auf den Fahrer leer waren. Ein Offizier, begleitet von einem rumänischen Übersetzer, ging direkt ins Pfarrhaus, das sich neben der Kirche befand. Sie fanden den Pfarrer beim Abendessen vor.
    «Lassen Sie die Kirchenglocken läuten!», befahl der Offizier.
    «Wieso soll ich das tun? Es gibt weder Sturm noch Feuer.»
    «Weil ich Sie sonst erschieße.»
    In diesem Augenblick traf auch der Burghüter ein, und Pfarrer Schulz schickte ihn in den Turm. Der Offizier holte Listen aus einer Tasche hervor und hielt sie dem Pfarrer vor die Augen. «Wir suchen alle Deutschen zwischen achtzehn und fünfundvierzig, die nach Sibirien deportiert werden. Sie werden uns jetzt begleiten und uns zeigen, wer sie sind.»
    Pfarrer Schulz wankte und musste sich an der Tischkante abstützen. «Wieso gerade ich?»
    «Weil Sie alle hier kennen. Sie werden ihnen sagen, dass sie nur so viel mitnehmen dürfen, wie sie selber tragen können. Wer auf der Gasse erwischt wird, wird erschossen. Auf Sie werden sie hören.»
    Hatte der Pfarrer gedacht, dass er mit seinem Verrat an der Serbenfamilie schon alles erlebt hatte, was ihn in den Schlamm der Schuld ziehen konnte, so wurde er nun enttäuscht. Es war immer noch Platz für mehr.
    «Ich kann es nicht tun.»
    Der Offizier zog seine Pistole heraus und drückte sie ihm in den Bauch. Der Pfarrer begann zu schwitzen.
    «Sie haben keine Wahl.»
    Für einen Augenblick war Pfarrer Schulz geneigt, nicht nachzugeben und den Tod als Strafe Gottes hinzunehmen für das von ihm ermöglichte Unrecht an den Serben. Aber der Pfarrer war kein Held.
    «Sagen Sie, stehe auch ich drauf?», fragte er leise. Es dauerte einige Sekunden, bis ihm die Worte des Offiziers übersetzt wurden. Es war eine unendlich lange Zeit.
    «Sie sind zu alt für das, was die anderen erwartet. Und jetzt gehen wir hinaus, es steht uns einige Arbeit bevor.»
    Als die drei Männer auf die Gasse gingen, begannen sich die Menschen, dick eingehüllt in ihre Mäntel und die Mützen tief ins Gesicht gezogen, vor der Kirche zu versammeln. Die frierenden Soldaten warfen ihre Zigarettenstummel zu Boden und zerdrückten sie im Schnee.
    Der Offizier schob den Pfarrer vor sich her, der Übersetzer flüsterte ihm etwas ins Ohr, dann wurde der Pfarrer auf einen Lastwagen gehoben. «Kehrt zurück in eure Häuser, Leute. Wartet in der Stube auf uns. Niemand darf mehr das Haus verlassen. Wer draußen erwischt wird, wird erschossen. Betet und vertraut auf Gott. Er wird es schon richten», rief er der Menge zu.
    Als sie in unserer Gasse angelangt waren und bereits die ersten Tore und Türen mit ihren Stiefeln und Gewehrkolben eindrückten, kam Sarelo in den Stall, wo Großvater und ich die Pferde fütterten. Er hatte ein Bündel bei sich.
    «Du musst sofort weg, die Russen suchen nach dir. Deine Mutter sagt, du sollst dich dort verstecken, wo du es immer tust. Hier hast du etwas Brot und Käse.»
    Großvater nahm seine Mütze ab und setzte sie mir auf den Kopf. «Lauf dorthin, wo du dich immer versteckst», sagte er.
    «Wir holen dich dann zurück, wenn die Luft rein ist. Wo finden

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