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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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waren es gewohnt, blind zu traben, und sie trauten ihm normalerweise aufs Wort. Es warenbrave, geduldige Tiere, die aber an jenem Morgen, geplagt von den beharrlichen Insekten, nervös waren, sodass Großvater sogar die Peitsche benutzen musste.
    Wenn Mutter immer wieder keuchend zurückblieb, wartete Großvater auf sie. Sie stemmte die Arme in den Rücken und streckte sich, dann strich sie sich sanft über den Bauch.
    «Ich hätte dich besser nicht mitgenommen, so komme ich zu nichts.»
    «Sei still, Vater. Du siehst ja, wie unruhig sie sind. Jemand muss bei ihnen bleiben, wenn du den Mist auf dem Feld verteilst.»
    Als sie angekommen waren, begann es zu nieseln, ein leichter Sprühregen, der sich jedoch verstärkte. Großvater tauchte die Hand in die Erde ein, so delikat, als ob sie ein Wesen wäre und er sie nicht verletzen oder kränken wollte. Er hob einen Erdklumpen hoch und rieb ihn sich an der Wange. Weil er unsicher war, wiederholte er es. Er handelte so konzentriert, wie wenn sein ganzes Glück davon abhinge. Seine Tochter wagte ihn erst zu stören, als er zum Karren zurückkehrte und ihn rückwärts an das Feld heranfuhr.
    «Ich wette, Mutter hast du nicht so zart angefasst», sagte sie lächelnd.
    «Sie war auch nicht daran gewöhnt. Ihr Frauen seid besondere Menschen, aber die Erde ist es noch mehr.»
    «Wie meinst du das?»
    «Eine Frau ernährt ein Kind, die Erde aber uns alle. Wenn ich etwas an deinem Mann mag, und es gibt nicht viel, dann bestimmt, dass er die Erde genauso achtet wie ich.»
    «Und was sagt die Erde? Ist sie bereit?»
    «Ja, sie hat die richtige Temperatur. Sie ist bald durch. Ein letztes Mal düngen, und nächste Woche können wir schon den Winterweizen säen.»
    Er sagte
bald durch
, als ob es sich um ein Stück Maisbrei oder einen saftigen Schweinebraten handelte. In Großvaters Vorstellung verschmolz alles, was sein Leben ausmachte, zu einem unteilbaren Ganzen: seine Frau, die Gerichte der Tochter, die Erde und die Pferde. Sie waren nichts als unterschiedliche Erscheinungen desselben, aus gleicher Substanz und gleichberechtigt.
    Ich bin mir ziemlich sicher, dass sogar Gott für ihn eine kalte Portion Maisbrei war, den er unter einem Maulbeerbaum einnahm, während er neben dem Acker von den Strapazen der Feldarbeit ruhte und die Pferde friedlich grasten. Nur jeden Sonntag besann er sich auf den anderen Gott, um Pfarrer Schulz nicht zu ärgern.
    Mutter hatte schon als Mädchen ihren Vater aufs Feld begleitet. Sie hatte die Nähe zu ihm gemocht, wenn sie schweigend und im Eiltempo manchmal kilometerweit gingen. Wenn sie von ihrem Hof losmarschiert waren, war oft noch tiefe Nacht gewesen. Manchmal hing der Nebel dicht über der Gasse, aus dem die anderen Bauern kurz auftauchten und grüßten, bevor sie wieder darin verschwanden. Manchmal aber war der Himmel so unendlich groß und klar über ihnen, dass er einem Nähkissen glich, mit Tausenden von Stecknadeln mit leuchtenden Köpfen .
    Am Mittag hatten sie sich unter einen Nussbaum gesetzt, und ihr Vater hatte Brot und Wurst geschnitten. Seine Finger wurden glitschig vom Fett, und er leckte sie jedes Mal genüsslich ab, was sie ihm gerne nachmachte. Er war ihr Vater und Mutter in einem gewesen. Oft sahensie bis zu ihrer Rückkehr ins Dorf keine Menschenseele.
    Noch am Tag vor ihrer Abfahrt nach Budapest, von wo aus sie den Zug zur deutschen Küste und dann das Schiff nach New York nehmen würde, hatte sie ihn begleitet.
    «Du lässt mich allein», hatte er gemurmelt, als sie unter dem Baum ruhten.
    «Wenn ich nicht fahre, bleiben wir weiter arm», hatte sie geantwortet.
    «Dann bleiben wir eben arm. Wir werden immer genug haben, um den Hunger zu stillen», hatte Großvater erwidert.
    «Das ist mir zu wenig. Ich will einen großen Hof haben. Auch du hast damals alle Pferde verkauft, um den Hof zu retten. Wir haben nichts mehr zum Verkaufen, also fahre ich nach Amerika.»
    «Ich erinnere mich an den Tag, als ob es heute wäre», hatte Großvater gesagt. «Als der Pferdehändler die Tiere abgeholt hat, ist deine Mutter ihnen bis zur Dorfgrenze gefolgt. Sie hat ihnen lange nachgeschaut. Sie hat es nie gesagt, aber ich glaube, dass sie es mir nie verziehen hat.»
    Großvater war aufgestanden und hatte sich erneut an die Arbeit gemacht. Keuchend hatte er gefragt: «Du bist erst siebzehn. Was willst du schon drüben tun?»
    «Was ich muss. Das bin ich ihr schuldig.»
    Jetzt nahm Großvater etwas Mist auf die Schaufel und ging damit ins Feld,

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