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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Gesicht nicht gefiel, wenn dieser das Pferd falsch oder grob anfasste, platzte das Geschäft. Seitdem er im Gesindehaus neben dem Stall schlief, war er noch öfter bei ihnen. Als ich ihn einmal fragte, wieso es ausgerechnet Pferde seien, in die er so vernarrt war, antwortete er: «Sie hat Pferde geliebt. Wenn ich sie anschaue, sehe ich sie.» Dass damit Großmutter gemeint war, wusste ich längst.
    So kam es, dass ich mich an jenem Tag, als Ramina die Verfügung zu ihrer Deportation an den Bug erhielt, auf dem Markt herumtrieb.
    Mütter, die heiratswillige Söhne hatten, schauten sich nach jungen Frauen um. Fanden sie eine, und zeigte sich diese interessiert, luden sie sie mit ihren Eltern zu sich nach Hause ein. Frauen reicher rumänischer Bauern spazierten umher und trugen goldene Halsketten aus Franz-Josef-Talern. Wollten sie wirklich auffallen, spielten sie mit einer Goldmünze, die an einem langen Faden hing und die sie, als eine Art nach hinten gerichtetes Augenzwinkern, immer wieder über die Schultern warfen. Die Männer schauten auf die Hüften, dann aufs Gold, und beide Male wurde ihnen schwindlig.
    Es gab fliegende Händler aller Art, Schuster und Hutmacher, Tischler und Wagner, Gaukler und Feuerschlucker, Herumstreuner und Neugierige. Eine Frau verkaufte Lebkuchen und Biskotten, die sie in Zeitungspapier einwickelte. Ihr Mann, der vor dem Pferdewagen herging, kündigte sie mit Trommelschlägen an. Der Weber bot Wollstoffe und Pullover an, der Gerber Leder für die Schuhsohlen. Manchmal sah man auch Verlobte, die unter Bewachung ihrer Eltern Brautschuhe suchten. Fifa, der Dorfschmied, verkaufte Knödelwürger, das waren Taschenmesser mit Holzgriff, die bei den jungen Männern hoch im Kurs standen.
    Manchmal, wenn der Menschenstrom dünner wurde, konnte ich Katica erblicken, die Anzüge und Kleider hochhielt, während ihre Mutter sie den Kunden anpries. Auch Sarelo war da und fuchtelte mit den Messern herum. Seine Messer schnitten auch durch den Wind, wenn es sein musste, behauptete er wie immer. Die Menschenlachten, und damit hatte er sie schon auf seiner Seite. Wenn jemand nicht zugriff, obwohl er sich aufs Feilschen eingelassen hatte, verfluchte er ihn. Seine Zigeunerflüche waren gefürchtet.
    Doch an jenem Tag war etwas anders, er war zerstreut und verlor viele Kunden. Meistens saß er mit gespreizten Beinen da und stocherte abwesend mit einem Messer in der Erde herum. Ich blieb bei ihm stehen, an seinen Fußsohlen klebte eine dicke Dreckkruste, seine hellen Haare waren verfilzt und struppig.
    «Deine Mutter hätte bestimmt etwas dagegen, dass du die Erde so plagst», sagte ich.
    «Sei still, ich habe andere Sorgen.»
    «Was für welche?»
    «Wir haben heute Morgen einen Brief erhalten, den wir nicht lesen können. Wir kriegen nie Post. Ein einziges Wort konnten wir verstehen, weil wir es in der Stadt oft gesehen haben: Gendarmerie. Das ist nicht gut.»
    «Ich kann aber lesen», sagte ich.
    «Rumänisch lese ich besser als du», mischte sich Katica ein, die sich unbemerkt genähert hatte.
    Wir ließen den lärmigen Markt hinter uns und machten uns zu dritt auf zu Ramina. Sarelo lief einige Schritte vor uns her und trug alle Messer bis auf eines in einem Lederbeutel am Gürtel. Das eine aber benutzte er, um eine Art Schattenkampf mit Mächten zu führen, die nur für ihn sichtbar waren. Er stach immer wieder zu, als ob die Luft ein fester Stoff wäre.
    «Pass auf mit dem Messer», sagte ich.
    «Aufpassen muss man nur, wenn der Wind aufzieht», antwortete er. «Mutter sagt, dass er früher einmal ganz wild gewesen ist und alles verwüstet hat, was der Menschaufgebaut hat. Seitdem hat ihn Gott in eine Höhle verbannt und eine alte, blinde Frau davorgestellt, die immer strickt, um sich die Zeit zu vertreiben. Mit dem Wollknäuel stopft sie den Höhleneingang zu, aber wenn er einmal runterfällt und sie ihn suchen muss, kann der Wind entweichen. Dann müssen wir aufpassen, dass wir ihn nicht ärgern, sonst macht er alles wieder kaputt.»
    «Glaubst du das, was deine Mutter sagt?», fragte Katica.
    «Ich glaube, dass sie verrückt ist, aber ein wenig glaube ich ihr auch. Sie sagt zum Beispiel, dass ich gar keinen Vater habe, sondern der Wind sie geschwängert hat», sagte Sarelo.
    «Das sagt sie auch über mich. Wolltest du nie wissen, wer dein Vater ist?», fragte ich ihn.
    «Wieso das denn? Ich habe hier alles, was ich brauche. Von euch kriegen wir zu essen, und mit meinen Messern verdiene ich was dazu. Es

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