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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gibt nur etwas, das ich gerne hätte. Ein wenig Land, wo ich mein eigener Herr sein kann. Dann müssen wir nicht mehr auf so einem dummen Hügel sitzen.»
    «Ich aber will Schneiderin wie Mutter werden und in Temeschwar bei Madame Liebmann in die Lehre gehen. Sie näht für reiche Herrschaften», meinte Katica.
    «Bald näht sie nicht mehr, meint Vater. Sie ist Jüdin, und sie machen die Läden der Juden dicht. Sie schreiben drauf:
C.N.R
», sagte ich.
    «Die Deutschen?»
    «Nein, die Rumänen.»
    Ramina hielt den Brief immer noch in der Hand, als ob sie ihn, seit sie ihn erhalten hatte, nicht mehr weggelegt hätte. Er war zerknittert, sie hatte ihn zusammengeknülltund dann wieder auseinandergefaltet, denn auch sie ahnte die schlechte Nachricht.
    «Heute ist gar nicht dein Tag, Jacob. Was willst du hier?», fragte sie, als sie mich sah.
    «Katica kann dir den Brief vorlesen», sagte ich.
    «Diesen Brief?», fragte sie erstaunt, als ob sie längst vergessen hätte, was sie zwischen den Fingern hielt. «Na dann, lies mal vor.»
    Generalinspektorat der Polizei von Temeschwar
    An den Bulibaşa Gigi Pescaru der Zigeunergemeinde des Dorfes Triebswetter
    Aufgrund der dauerhaften Gefahr, die das zigeunerische Element für die rumänische Rasse darstellt, zum Schutz des eigenen Blutes und zur Beseitigung fremdrassiger Schmarotzer wird mittels königlichem Dekret und den Verfügungen des Innenministeriums und des Ministerrats bestimmt, dass sämtliche Zigeuner unverzüglich an den Bug verschickt werden, die gerichtlich verurteilt worden sind, die sich als Taschendiebe und Beutelschneider auf den Eisenbahnen und Märkten betätigen, und solche, die keiner geregelten Arbeit nachgehen und somit von Diebstahl und Betteln leben.
    Sie dürfen ihre Wohnadresse nicht mehr verlassen und haben sich bereitzuhalten für ihre Evakuierung, die am 12. September 1942 stattfinden wird. Alle Bulibassen haben die Pflicht, für eine ruhige und schnelle Abwicklung der Deportation ihrer Zigeuner zu sorgen.
    Colonel N. Diaconescu
    Generaldirektor der Gendarmerie
    Ramina stand auf, wischte sich die Hände am speckigen Rock ab, und um ihre Aufregung zu verbergen, befahl sie Sarelo, Feuer zu machen. Sie setzte Wasser für eine Suppe auf. Minutenlang kehrte sie uns den Rücken zu,schien in ihrer Beschäftigung versunken zu sein, doch als sie sich dann doch zu uns umwandte, hatte sie einen solch hoffnungslosen Blick, wie ich ihn bei ihr oder einem anderen Menschen noch nie gesehen hatte.
    Ich hatte sie für unbesiegbar gehalten, ein wenig wie Vater. Und ich war mir sicher, dass, wenn nichts anderes mehr helfen würde, sie immer noch ihre Zauberei zur Hand haben würde. Ich hatte mich geirrt. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, murmelte sie: «Ich fürchte, dass dagegen kein Kraut gewachsen ist. Lasst mich mal allein, Kinder. Ich muss nachdenken.»
    * * *
    Ich kam zu Hause verstört an, durch die Aussicht, die Säcke nicht mehr zu Ramina schleppen zu können, um mit einer weiteren Variante meiner Geburt belohnt zu werden. Mich vom einzigartigen Geruch ihrer Anwesenheit in meinem Leben trennen zu müssen, jener Mischung aus Schweiß, abgestandener Luft und dem Duft ihrer Brühen. Sie war neben den Toten und Großvater der einzige sichere Zufluchtsort meiner Kindheit gewesen, und kein schwerer Sturm, nicht tausend Teufel, hätten mich davon abgehalten, sie einmal wöchentlich zu besuchen.
    «Sie schicken Ramina weg! In ein paar Tagen kommt die Gendarmerie und bringt sie weg!», rief ich Mutter zu, die in der Stube häkelte.
    «Ich weiß, man redet davon, dass die Zigeuner an den Bug deportiert werden. Sie haben in der Stadt schon damit angefangen», antwortete sie.
    «Was ist der Bug?»
    «Das ist ein Fluss in Transnistrien. Und Transnistrien ist ein Landstrich in der Ukraine.»
    «Warum tut man so was?»
    «Weil die Rumänen die Zigeuner für faul und diebisch halten.»
    «Und sind sie es?», fragte ich.
    «Natürlich sind sie es.»
    «Aber Ramina ist es nicht. Sie hat mich auf die Welt gebracht und dafür gesorgt, dass ich nicht sterbe.»
    «Dafür füttern wir sie seit sechzehn Jahren durch. Außerdem erzählt sie dir bloß Geschichten. Es heißt, dass die Zigeuner die Häuser der Juden kriegen werden, die man von dort vertrieben hat. Es wird ihr schon nicht schlecht gehen. Dein Vater wollte sowieso bald all den Geschenken ein Ende machen.»
    «Hättest du das zugelassen?»
    «Dein Vater hat recht. Alles hat ein Ende, Jacob.»
    «Das glaube ich

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