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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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aufzumachen.
    Aber er legte den Stiefel weg, konnte mich in letzter Sekunde zurückhalten und drosch nun mit der Hand auf mich ein. Ich versuchte, meinen Kopf zu schützen, aber er fand immer eine Lücke. Er zwang mich aufzustehen und zog seinen Gürtel aus. Die Schläge kamen ganz regelmäßig, als ob der Takt von einem verborgenen Mechanismus bestimmt würde. Es hörte sich nicht anders als die Rumäninnen an, wenn sie am Fluss ihre feuchte Wäsche auf einen Stein klatschten.
    Ich hatte längst aufgegeben, mich dagegen zu wehren. Meine Arme hingen leblos herab, und ich starrte durch ihn hindurch, was ihn noch mehr anstachelte. In einer Ecke zwischen der Kommode und dem Tisch, der Vaterals Werktisch diente, sah ich einen Menschenwinzling, einen eben erst Geborenen, der, wie von unsichtbaren Händen getragen, in der Luft schwebte und lautlos zu lachen schien. Schlag nur, denn ich bin sowieso nicht da, dachte ich. Es musste sich um jemand anderen handeln, der zufällig meinen Namen trug.
    Ich hörte ihn sagen, dass er mich nicht deshalb ernährte, damit ich als Soldat an der Front krepierte, sondern um vielleicht einst seinen Grund und Boden zu übernehmen. Als er müde wurde, ließ er den Gürtel fallen und setzte sich hin.
    «Willst du immer noch Soldat werden?», fragte er.
    «Nein», antwortete ich, ohne zu zögern.
    «Was dann?»
    «Ich will sein wie du.»
    «Das klingt schon besser, obwohl ich nicht glaube, dass es dir gelingen wird. Du riechst zu sehr nach deiner Geburt. Jetzt kannst du gehen.»
    Sobald er mir die Erlaubnis gab, drehte ich mich um und wollte so schnell wie möglich verschwinden. Ich war schon bei der rettenden Tür, aber er rief mich wieder zurück.
    «Du hast etwas vergessen», sagte er so ruhig und entspannt, als ob sich das Ganze gar nicht zugetragen hätte.
    «Gute Nacht, Vater.»
    «Gute Nacht.»
    Am nächsten Tag hatte Lehrer Kirsch wieder zu einer seiner Reden angesetzt, als ich Vater durch die Gasse gehen sah. Er riss das kleine Lattentor auf und kam mit entschlossenen Schritten durch den Vorgarten auf das Schulhaus zu. Die Eingangstüre wurde geöffnet, aber nicht wieder geschlossen, seine Schritte hallten auf dem Flurwider, sie machten kurz vor dem Schulzimmer halt, dann wurde die Tür aufgerissen, und er trat ein. Ohne mich, der glaubte, sein Kommen verschuldet zu haben, auch nur anzuschauen, ging er direkt auf den Lehrer zu, der vor ihm zurückwich. Hinter dem Vorhang tauchten die neugierigen Gesichter der rumänischen Schüler – unter ihnen Katica – und ihrer Lehrerin auf.
    «Herr Lehrer, Sie haben keine Kinder, nicht wahr?»
    Der Mann machte eine ausladende Bewegung. «Das sind meine Kinder», antwortete er mit einer feierlichen Stimme.
    «Falsch, Herr Lehrer. Das sind die Kinder von Bauern, alles anständige Leute. Den meisten würde es nicht in den Sinn kommen, sie in eine Uniform zu stecken.»
    «Das werden wir sehen.» Vater machte einen Schritt auf ihn zu.
    «Ich glaube, wir verstehen uns nicht, Herr Lehrer. Sehen Sie den Lümmel dort?» Er zeigte auf mich. «Der gehört mir. Vielleicht wird kein Bauer aus ihm werden, er ist zu schwach dafür. Eigentlich ist er zu schwach für so ziemlich alles. Als Soldat würde er gleich zusammenbrechen. Aber er ist der Einzige, den ich habe, bis etwas Besseres kommt. Sollten Sie sich zwischen ihn und mich stellen, sorge ich dafür, dass auch Ihre zweite Karriere bald zu Ende sein wird. Dem Schulamtvorsteher in Temeschwar liefere ich zweimal im Jahr ein Schwein ins Haus.»
    Der Lehrer stammelte. «Aber Herr Obertin!»
    Vater schien nun das Interesse an ihm verloren zu haben und wieder weggehen zu wollen, als er dann auf der Türschwelle doch noch einmal stehen blieb und sich erneut zu uns umdrehte. «Ich habe mich erkundigt, Herr Lehrer. Es heißt, dass Sie Ihre Boxerkarriere von einemTag auf den anderen abgebrochen haben. Wieso denn eigentlich?»
    «Wegen meines Asthmas.»
    «Das hat etwas mit schlechter Atmung zu tun, nicht wahr? Ich habe es aber anders gehört. Es heißt, dass Sie die Hose voll gehabt haben. Plötzlich konnten Sie nicht mehr in den Ring steigen. Tz, tz, da soll mal einer schlau draus werden. Sie predigen diesen Kindern das Soldatenleben, haben aber Angst vor ein wenig Prügel. Was meint ihr, Kinder? Geht das gut zusammen, ein Angsthase und gleichzeitig ein Soldat zu sein?»
    Wir wagten nicht einmal zu atmen. Erst als er das zweite Mal fragte, antworteten wir im Chor: «Nein!», während unsere Blicke den Lehrer

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