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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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verfolgten, der sich am Tischrand festhielt und dessen Kinn leicht zitterte. «Und dir», fuhr Vater fort und starrte mich an, «breche ich beide Arme, wenn du noch einmal damit kommst.»
    Da der Lehrer sich nicht weiter um uns kümmerte, setzten wir Kinder zögerlich zu jenem Lied an, das wir immer am Ende des Unterrichts sangen.
Ist die Schulzeit verflossen, gehen wir fröhlich nach Haus / Mutter heißt uns willkommen, teilt das Abendbrot aus / Oh, wie freuen sich die Kinder, wenn sie heimwärts gehen.
Dann warteten die Kinder vergeblich auf ein Zeichen, doch weil dieses nicht kam, schlichen sich alle aus dem Schulzimmer.
    Gefangen zwischen der Angst vor Vater und der Bewunderung für ihn, der den stärksten Mann, den ich kannte, bloß mit Worten ins Wanken gebracht hatte, blieb ich sitzen. Ein Teil von mir flog ihm zu, heute noch, nach so vielen Jahren, kann ich es nicht ändern, dass ich so fühle.
    Ihm, dem fast alles zu gelingen schien, traute ich zu,dass er sogar den Krieg aus unserer kleinen, abgeschiedenen Welt fernhalten konnte. Dann wiederum, um ihn zu meiden, verbrachte ich manche Nächte auf dem Friedhof und überprüfte, ob ich nicht doch nach meiner Geburt roch.
    Ich merkte, dass auch der Lehrer und Katica noch im Raum waren. Er schaute zum Fenster hinaus und wirkte gealtert und geschrumpft. Sie hielt sich im Hintergrund auf, schien mit mir reden zu wollen, aber sie traute sich nicht. Sie hatte nichts von dem verstanden, was da gerade gesagt worden war, und doch hatte sie auf ihre Art begriffen. In mir wuchs ein mörderischer Wunsch, doch es fehlte dazu der letzte Tropfen, der Anstoß, der alles ins Rollen bringen würde.
    Der Lehrer atmete tief ein und aus, bei jedem Einatmen wurde sein Brustkorb breiter, und das Hemd spannte so sehr, dass beinahe die Knöpfe absprangen. Er drehte sich um und schaute mit verlorenem Blick im Raum umher, doch als er mich entdeckte, verzog sich sein Gesicht und wurde zu einer einzigen Hassgrimasse. «Hau ab, du schlechte Brut!»
    Jetzt endlich lief ich davon, verfolgt von Katica, die ich auch dann nicht abwimmeln konnte, als ich ihr drohte. Wenn ich mich umdrehte und einen Stein nach ihr warf, blieb sie einfach stehen. Wenn ich wieder weitermarschierte, hielt sie sich nur wenige Meter hinter mir. Sie blieb vor dem Hof stehen, ich ging geradewegs ins Haus, holte eine lange Schnur und ein Taschentuch von Großvater, dann zwei dünne Holzlatten aus dem Geräteschuppen. Mit ihnen unterm Arm packte ich unseren alten, stolzen Hahn und ging durch die kleine, schmale an der Hinterseite des Stalls angebrachte Tür aufs Feld.
    Als ob sie erahnt hätte, was ich vorhatte, wartete Katica dort auf mich. «Du brauchst es nicht zu tun. Er ist alt. Er wird sowieso bald sterben», sagte sie. «Ebendeshalb kann ich es auch gleich erledigen.» Ich lief entschlossen über das Feld, ohne auf ihr Jammern zu achten, weil sie sich ihre Fußsohlen auf dem harten Acker aufriss. Als ich einen geeigneten Ort gefunden hatte, rammte ich eine der Latten in den Boden, dann band ich den Hahn daran fest. Ich band mir auch das Taschentuch um die Augen, dann hob ich die zweite Latte über meinen Kopf und wartete. Wenn der Hahn schlau war, würde er die ersten paar Male entwischen können.
    Der erste Schlag traf ihn nicht, der zweite ebenso wenig. Ich riss mir das Tuch von den Augen, packte die Schnur und wand sie noch einmal um die Latte, sodass der Hahn nur noch einen Spielraum von höchstens einem halben Meter hatte. Erneut legte ich mir die Augenbinde an, hob die Latte und schlug zu. Der Hahn fiel benommen um. Ich zog das Tuch ab und schlug auf ihn ein, bis er nur noch ein blutiger Haufen war. Katica hob ihn hoch und sagte: «Daraus kann Mutter eine Suppe kochen. Darf ich ihn mit nach Hause nehmen?»
    Mutter saß auf der Eingangstreppe. Sie hatte ihren Rock hochgezogen und hielt eine Gans zwischen den Schenkeln. Sie stopfte ihr Körner in den Schnabel, das Tier wehrte sich nicht. Es hatte verlernt, sich selbstständig zu ernähren und wartete jeden Tag auf die Portion aus Mutters Hand. Sobald Mutter in den Hof trat, folgte ihr die Gans überallhin.
    «Unser Hahn ist verschwunden», sagte sie unbeteiligt. Ich setzte mich neben sie und merkte, wie die Spannung aus mir wich.
     
    Vater hatte es nach und nach aufgegeben, mich als seinen Nachfolger zu sehen. Die erste Probe hatte ich schon mit vier Jahren nicht bestanden. Er hatte mich in den Sattel eines unserer lahmsten Pferde gesetzt, das sich sein Leben

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