Jaeger
ist. Dass ich Sie nicht angelogen hab.«
»Ich muss sie sehen«, beharrte Marina.
»Sie sehen sie doch. Es geht ihr gut.«
Marina war sich bewusst, dass sie ruhig bleiben und wie eine Psychologin reagieren musste, aber es ging einfach mit ihr durch. »Sie verfluchtes Miststück!«
»Wenn’s Ihnen damit besser geht. Sie kriegen sie zurück, sobald Sie Ihren Teil der Abmachung erfüllt haben. Keine Sekunde früher. Tun Sie, was Ihnen gesagt wird, und alles wird gut.«
Marina wollte sich umschauen, wagte es aber nicht. War Franks irgendwo in der Nähe? Konnte er sie oder Josephina sehen? Hatte er die Pistole bemerkt? Fast alle Zuschauer standen oder saßen mit Blick zum Ring, vermutlich war ihm also nichts aufgefallen. Sie konnte nur hoffen, dass er sie beobachtete und ihre Reaktion richtig gedeutet hatte. Sie musste Zeit schinden, also zügelte sie notgedrungen ihr Temperament. Versuchte, beherrscht und konzentriert zu bleiben. »Okay. Ich bin hier. Sie wollen, dass ich Ihren Patienten begutachte. Sollen wir das jetzt gleich machen?«
»Darauf hatte ich eigentlich gehofft, aber der Ort hier ist nicht besonders gut geeignet, um ein ungestörtes Gespräch zu führen, hab ich recht?«
»Na ja, wir könnten …« Lärm brandete auf und machte Marina das Weitersprechen unmöglich. Der zweite Kampf war vorüber. Der Großteil der Zuschauer jubelte, nur einige wenige buhten und stießen wüste Verwünschungen aus. Marina stand mit dem Rücken zum Geschehen und versuchte den Lärm so gut es ging auszublenden. Deshalb bekam sie auch nicht mit, wie als Nächster Sandro in den Ring stieg. Auch er hatte keine Augen für seine Schwester. Er war ganz auf seinen Kampf fixiert.
Marina blickte sich möglichst unauffällig unter den Zuschauern um. Noch immer keine Spur von Franks. »Wir könnten woanders hingehen«, schlug sie vor.
»Könnten wir. Müssen wir wohl auch, da wir hier nichts machen können.«
»Wo ist er?«, fragte Marina. »Stuart Sloane, wo halten Sie ihn fest?«
»Er ist hier.«
»Wo, hier?«
»Hier neben mir.«
Jetzt erst wurde Marina klar, wen sie meinte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. »Das ist Stuart Sloane? Der Mann, der mein Kind mit einer Waffe bedroht?«
»Ihr neuer Patient. Jetzt tun Sie nicht so überrascht. Ich würde ihn ja bitten zu winken, aber er ist leider gerade beschäftigt.«
Marinas Knie begannen zu zittern. »Und Sie wollen, dass ich ihn für geistig zurechnungsfähig erkläre.«
»Aber ja doch. Weil er geistig zurechnungsfähig ist .«
Marina verspürte den übermächtigen Drang zu schreien. »Und warum hält er meiner Tochter dann eine Waffe an den Kopf?«
»Weil ich es ihm befohlen hab. Er beschützt nur meine Investition, Dr. Esposito. Also keine krummen Touren, sonst könnte es sehr hässlich werden.«
Das Zittern in Marinas Knien breitete sich auf ihren ganzen Körper aus. Sie war versucht, es darauf ankommen zu lassen: einfach zu der Frau hinüberzustürzen, ihre Tochter an sich zu reißen und in der Menge unterzutauchen. Erneut sah sie sich um. Warum griff Franks nicht ein?
»Wen suchen Sie?«
»Was?« Marina war zu unvorsichtig gewesen. »Ich suche … niemanden.«
»Sie haben sich umgeschaut, als würden Sie auf den Bus warten.«
»Ich habe nur … Nein …« Dann sah sie ihn. Zu ihrer Linken. Er versuchte gerade, sich möglichst unauffällig durch die Menge zu schieben. Er hatte sie entdeckt und kam genau auf sie zu.
Sie musste ihm ein Zeichen geben, damit er auf Abstand blieb. Sie fing seinen Blick ein und schüttelte den Kopf.
»Wer ist das? Was machen Sie da?«
»Ich … nichts.« Franks hatte das Signal verstanden und war stehen geblieben.
»Sie lügen. Sie haben …« Es folgte eine Pause, dann ein scharfes Atemholen. »Sie Dreckstück.«
»Wie bitte?«
»Das ist eine Falle.«
Marinas Magen krampfte sich zusammen. »Nein, das stimmt nicht, ich –«
»Lügen Sie mich nicht an. Sie wollten mich reinlegen, geben Sie’s zu. Deswegen wollten Sie sich auch hier mit mir treffen. Wer ist es? Wem haben Sie da eben ein Zeichen gegeben? Sie verdammtes Dreckstück …«
Marina wollte widersprechen, doch ihr fiel nichts ein. Die Frau würde sofort merken, dass sie log.
Die Frau stieß einen Seufzer aus, der fast wie ein Knurren klang. Dann zischte sie hastig: »Warum konnten Sie nicht einfach das machen, was man Ihnen sagt? Warum? Warum mussten Sie unbedingt …« Wieder eine Mischung aus Seufzer und Knurren. »Das haben Sie sich selbst
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