Jaeger
hinab.
»Zeit zu sterben …«
Ihm war schwindlig, seine Beine und Arme zitterten. Er würde nicht mehr lange durchhalten.
Da hörte er es hinter sich krachen und drehte sich um.
Er sah, wie sich sein Prius nach einem Aufprall noch kurz bewegte. Die linke Vorderseite war zerknautscht, ein Kabel hing aus dem zerbrochenen Glas des Frontscheinwerfers, als wäre dort ein Augapfel aus seiner Höhle gerissen worden.
Dann sah er ein Auto davonrasen, das seinen Prius aus dem Weg geschoben hatte. Er konnte sich schon denken, wer darinsaß: die Leute aus dem Wohnwagen.
Er bückte sich, wobei er fast vornüberfiel, hob den Laptop auf und humpelte unter Qualen die Einfahrt entlang, an den toten Hunden vorbei zurück zu seinem Wagen. Sein Selbsterhaltungstrieb war stärker als alles andere.
Er setzte sich hinters Steuer, legte den Gang ein und fuhr los.
Er schaffte etwa eine halbe Meile, ehe er in einen Waldweg einbog und das Bewusstsein verlor.
46 Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Sonne gab den Kampf auf und versank hinter dem Horizont. Marina fühlte sich ähnlich. Sie hatte Hunger und war wie gerädert, einzig Adrenalin und Hoffnung hielten sie noch auf den Beinen.
Sie folgte den Anweisungen des Navigationssystems. Dieses meldete kurz darauf, dass das Fahrtziel erreicht sei. Vor ihr stand ein altes, baufälliges Haus, daneben ein Wohnwagen in ähnlich desolatem Zustand. Ein Auto in der Einfahrt.
Kein Mensch weit und breit.
Sie stieg aus und schloss den Wagen ab. Langsam ging sie die Einfahrt entlang bis zum Haus.
Rechterhand sah sie zwei schwarzbraune Haufen auf dem Rasen liegen, um die herum der Boden dunkel glänzte. Mit ängstlich klopfendem Herzen ging sie darauf zu, um nachzusehen. Ihr Magen machte einen Satz, als sie erkannte, was dort auf dem Rasen lag.
»Oh Gott … Oh mein Gott …«
Zwei Rottweiler. Tot. Der eine hatte ein blutiges, zerfetztes Maul, der andere sah wie zerbrochen aus.
Eilig und zögerlich zugleich ging Marina auf das Haus zu.
Um in der Nähe der Hintertür auf die Leiche eines Mannes zu stoßen.
Marina wandte sich ab und begann vornübergekrümmt zu würgen.
Als sie sich wieder aufrichtete, drehte sich alles vor ihren Augen. Einen Moment lang geisterte ihr Blick ziellos über den Hof. Sie hatte das Gefühl, als wäre ihr das bisschen an Kontrolle, das sie eben erst zurückgewonnen hatte, bereits wieder aus den Fingern geglitten. Sie stürzte zum Wohnwagen und riss die Tür auf. Leer. Aber irgendjemand war hier gewesen, und es war noch nicht lange her.
Sie ließ die Tür offen stehen und lief zurück zum Haus. Mit zugekniffenen Augen stieg sie über die Leiche auf der Schwelle und wagte sich ins Innere vor.
Im Haus war es dunkel. Hier hatten mehrere Menschen gewohnt, und es sah so aus, als hätten sie das Haus überstürzt verlassen. Neben der Spüle stand benutztes Geschirr, auf dem Tisch lagen einige elektronische Geräte. Sie machten den Eindruck, als hätte jemand angefangen, sie auseinanderzunehmen, dann aber beschlossen, sie einfach liegen zu lassen.
Marina zählte die Teller. Es waren drei, zwei große und ein kleiner. Ihr Herz krampfte sich zusammen.
»Josephina …«
Marina hatte ihre Stimme wiedergefunden. Sie rannte durchs ganze Haus und schrie aus Leibeskräften.
»Josephina! Josie!«
Die einzige Antwort war drückende Stille.
Dem äußeren Anschein nach hatte jemand heimlich in dem Haus gewohnt. Kleider, persönliche Gegenstände – alles lag in einem heillosen Durcheinander auf dem Boden. In einem Zimmer stieß sie auf Matratzen mit Schlafsäcken. Zwei Personen hatten hier geschlafen.
Im Wohnzimmer machte sie eine weitere Entdeckung: Ein Strick, der an der Türklinke festgebunden war und bis zu einer Matratze reichte. Eine dünne Decke war darübergebreitet, und am Rand der Matratze saß ein kleines Stofftier.
Der Anblick zog Marina fast den Boden unter den Füßen weg, und sie spürte, wie ihr die Kehle eng wurde. Sie sank auf die Knie und drückte das Tier an ihre Brust.
»Lady …«
Josephinas Plüschhund. Sie hielt ihn für Lady aus dem Disney-Film Lady and the Tramp . Sie nahm ihn überallhin mit. Hatte ihn beim Schlafen fest im Arm. Trug ihn den ganzen Tag lang mit sich herum. Redete sogar beim Essen mit ihm.
Marina schossen die Tränen in die Augen. Sie wusste nicht, ob sie aus Trauer weinte, aus Hilflosigkeit, aus Wut oder aus all diesen drei Gründen zusammen.
Ihr Kopf war wie betäubt, als sie aufstand. Noch immer hielt sie das
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