Jaeger
Golem sagte nichts. Er stand da und wartete darauf, dass der andere den ersten Schritt machte.
Der Mann hatte den Laptop unter dem Arm und hielt ihn fest umklammert. Die andere Hand war hinter seinem Rücken verborgen. Er sah aus, als wüsste er nicht, ob er fliehen oder kämpfen sollte.
Kampf oder Flucht. Der Golem kannte dieses Dilemma nur zu gut. Er konnte schon gar nicht mehr zählen, wie viele Male er einem Gegner gegenübergestanden und nicht gewusst hatte, wofür sich dieser entscheiden würde. Man musste auf beides vorbereitet sein.
Der Golem schwieg weiterhin. Normalerweise war es eine gute Taktik, um seine Gegner nervös zu machen, diesmal allerdings geschah es aus reiner Notwendigkeit. Er hatte nicht die Kraft, sich gleichzeitig zu bewegen und zu sprechen. Und er befürchtete, dass er losschreien würde, sobald er den Mund aufmachte.
»Nicht mehr lange, dann habe ich Geld. Sehr viel Geld …«, fuhr der Mann fort. »Ich kann Ihnen … die Hälfte davon abgeben. Wie wäre es mit der Hälfte?«
Keine Reaktion.
»So viel Sie wollen. Ganz egal. Sie kriegen so viel, wie Sie wollen. Nur bitte … bitte tun …« Der Mann machte einen kleinen Schritt nach vorn und sah den Golem inständig an. »Bitte töten Sie mich nicht …«
Der Golem blieb, wo er war. Der Mann kam noch ein Stück näher, die Schultern hochgezogen, sein Körper ein einziges Flehen.
»Bitte …«
Der Golem ließ ihn kommen. Das würde ihm die Sache erleichtern.
Als der Mann noch etwa eine Armeslänge entfernt war, zog er plötzlich die linke Hand hinter dem Rücken hervor. In ihr hielt er ein riesiges Küchenmesser. Seine Augen blitzten, und er stieß einen Schrei aus, als er zustach.
Der Golem mobilisierte seine letzten Adrenalinreserven und machte eine Drehung, um seinen Oberkörper aus der Gefahrenzone zu bringen. Die Klinge traf ihn am Arm – ausgerechnet am rechten. Sie drang tief in seinen Bizeps ein und blieb dort stecken. Noch mehr Schmerzen.
Sofort zog sein Angreifer das Messer heraus und stieß ein zweites Mal zu, wieder in den Arm. Dem Golem schwindelte, als die Schmerzen ihn zu übermannen drohten. Er begann zu taumeln. Jeden Moment würde er das Bewusstsein verlieren.
Sein Angreifer wähnte sich bereits als Sieger. Der Golem sah es deutlich in seinen Augen. Das konnte – durfte – er nicht zulassen.
Erneut hob der Mann das Messer. Diesmal zielte er auf den Oberkörper des Golem. Er rammte ihm die Klinge tief ins Fleisch. In seinen Augen lag ein seltsamer Glanz. Er konnte gar nicht glauben, dass er tatsächlich gewonnen hatte.
Der Golem musste etwas tun. Er musste die Situation in den Griff bekommen, sie irgendwie zu seinen Gunsten wenden. Er machte einen Schritt auf den Angreifer zu und versuchte nicht an die Schmerzen zu denken, als der rasiermesserscharfe Stahl sich immer tiefer in seine rechte Seite bohrte.
Er streckte die rechte Hand aus. Packte den Mann an der Gurgel.
Der wusste sofort, was die Stunde geschlagen hatte. Was der Golem mit ihm machen würde. Er versuchte sich aus dem Griff zu befreien, wieder Abstand zwischen sich und den Golem zu bringen. Es gelang ihm nicht. Selbst wenn der Griff des Golem nicht so kräftig war wie sonst, war er immer noch stärker als der der meisten Menschen.
So stark, dass es seinem Gegner nicht gelingen würde, ihn zu brechen.
Das Messer glitt dem Mann aus den Fingern. Der Laptop fiel auf den Boden. Er riss die Hände hoch und versuchte verzweifelt, die Finger des Golems loszuwerden, die seinen Hals umklammert hielten.
Der Körper des Golems brannte vor Schmerzen. Es war, als wäre er in unter Strom stehenden Stacheldraht eingewickelt. Er versuchte, nicht darauf zu achten, versuchte sich ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren, den Auftrag, für den er bezahlt worden war.
Der Mann zappelte. Der Golem drückte fester zu.
»Ich will weiterleben, Arschloch …«
Aus Angreifer wurde Opfer. Das Gesicht des Mannes verfärbte sich erst rot, dann violett. Seine Augen traten aus ihren Höhlen, als wollten sie jeden Moment platzen. Ein Rasseln und Gurgeln drang aus seiner zusammengepressten Kehle. Sein Widerstand erlahmte.
Der Golem spürte, wie der Körper des Mannes immer schwächer wurde und schließlich zu erschlaffen begann. Er bot seine letzte Kraft auf und drückte noch einmal zu, so fest er konnte.
Schließlich hatte sein Opfer den Kampfeswillen verloren. Der Wille des Golem hatte gesiegt.
Er ließ den leblosen Körper fallen und blickte auf ihn
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