Jaeger
Kuscheltier fest umklammert.
Sie verließ das Haus und ging zurück zu ihrem Wagen. Stieg ein. Fuhr los.
Sie hatte keine Ahnung, wohin.
Sie wollte einfach nur fort von hier.
Dritter Teil
Ostersonntag
47 Mitternacht. Und Alessandro konnte nicht schlafen.
So ging es ihm oft vor einem Fight. Er war angespannt. Unruhig. Wie unter Strom. Sein Körper war eine Maschine aus Sehnen und Muskeln, vollgetankt, warmgelaufen und einsatzbereit. Mental war er ganz bei dem bevorstehenden Ereignis. Hochkonzentriert, voller Erwartung. In Gedanken probierte er Angriffs- und Abwehrmanöver aus, versuchte seinen imaginären Gegner zu überlisten, noch ehe der erste Schlag ausgeteilt war. Er grübelte und plante. Versuchte sich eine Strategie zurechtzulegen, mit der er seinen Gegner auf die Matte schicken konnte und selbst so glimpflich wie möglich davonkam. Den ganzen Abend lang hatte er in seinem Zimmer Pendeln, Ducken, Gerade und Haken geübt. Jetzt lag er im Bett, starrte vor sich hin und konnte an nichts anderes denken.
Außer vielleicht an Katrina. Vor zwei Tagen war sie noch seine Freundin gewesen. Bis seine Wut, seine Eifersucht und seine Fäuste mit ihm durchgegangen waren. Er hatte gewusst, dass es falsch war, was er tat, aber das hatte ihn nicht davon abgehalten. Die Mädchen davor waren alle austauschbar gewesen. Aber Katrina war anders. Sie war ihm zu Kopf gestiegen. Und sie hatte immer noch nicht angerufen. Kein Wort, nicht mal eine SMS . Gar nichts.
Er hatte ihr Textnachrichten geschrieben. Mehrere. Hatte sich entschuldigt. Hatte eingeräumt, dass er einen Fehler gemacht habe, dass die Schuld allein bei ihm liege. Hatte sie um Verzeihung gebeten. Als keine Antwort gekommen war, hatte er angefangen zu betteln. Immer wieder hatte er auf sein Handy geschaut. Viel zu oft.
Und jetzt konnte er nicht schlafen. Besser, er versuchte es erst gar nicht.
Er richtete sich auf und warf die Bettdecke zurück. Setzte sich, den Kopf in die Hände gestützt, auf die Bettkante. Er spürte die Spannung im ganzen Körper, seine Finger prickelten, seine Muskeln vibrierten, als stünden sie unter Strom. Er stand auf und begann rastlos im Zimmer hin- und herzutigern, von einer Wand zur anderen. Seine Verzweiflung wuchs. Das Zimmer kam ihm kleiner vor als gewöhnlich. So musste sich ein Raubtier im Käfig fühlen. Er setzte sich wieder hin. Es konnte nichts tun. Fand kein Ventil für seine angestaute Wut, seinen Frust. Er musste bis zum Fight warten. Dann erst konnte er den ganzen Mist rauslassen. Alles in seine Schläge stecken. Es dem anderen so richtig zeigen.
Er sah sich um. Das Zimmer war schäbig, vollgestopft mit billigen Möbeln. Alles war entweder geliehen, aus zweiter Hand oder gestohlen. Nichts sah gepflegt aus. Nichts hatte einen Wert. Ein dreckiges Loch. Dieses Zimmer war sein Leben.
Er ballte Fäuste und löste sie wieder. Versuchte seinen Kiefer zu entkrampfen. Er hatte unbewusst mit den Zähnen geknirscht. Spar dir das alles für deinen Gegner auf , ermahnte er sich. Konzentrier dich auf den Fight. Da kannst du es wenigstens sinnvoll einsetzen.
Er musste diesen Fight unbedingt gewinnen. Sein Leben konnte nicht so weitergehen. Er musste sich was anderes suchen. Nur deswegen hatte er dem Kampf überhaupt zugestimmt. Er wollte Kohle machen, mit Katrina in eine neue Wohnung ziehen, eine anständige Wohnung, in der sie zusammen leben und glücklich sein konnten.
Und er wollte endlich seine Spielschulden bezahlen. Nur durch sie war er in die ganze Sache reingeraten. Trinken, Glücksspiel, Prügeleien – die unheilige Dreifaltigkeit, wie die Nonnen an seiner Schule es immer genannt hatten. Genau das, was man ihm zu Hause vorgelebt hatte. Und jetzt war er selbst so geworden. Wie der Vater, so der Sohn. Er erkannt ihn in sich wieder. Sie waren beide von demselben unheiligen Geist beseelt. Als er bei Leuten Schulden gemacht hatte, bei denen man besser keine Schulden machte – damit war in erster Linie Mr Picking gemeint –, hatte dieser ihm vorgeschlagen, er solle seine Fäuste doch mal für etwas Nützliches einsetzen. Um ein bisschen von den Zinsen abzustottern, hatte Mr Picking gesagt und dabei ein Lächeln im Gesicht gehabt, das für beide ganz unterschiedliche Dinge bedeutet hatte. Da Sandro klar gewesen war, was ihm blühen würde, wenn er sich weigerte, hatte er ja gesagt. Was war ihm anderes übriggeblieben?
Vor dem ersten Fight hatte er sich vor Angst fast in die Hose geschissen. Er hatte sich früher schon
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