Jaeger
von den Menschen zurück, die ihr am meisten bedeuteten, und erfand Ausreden, um möglichst wenig Zeit mit ihnen verbringen zu müssen. Nur so konnte sie sich auf die Arbeit konzentrieren. Und immer kam Alkohol ins Spiel. Sie war erstaunt, dass Terry nichts dazu sagte, bezweifelte jedoch, dass er es noch viel länger klaglos hinnehmen würde.
DC Deepak Shah blickte aus dem Fenster. Er hatte nicht einmal zu ihr hingesehen, während sie die Tabletten geschluckt hatte. Er hatte nichts gesagt und ihr keinerlei Vorwürfe gemacht, doch sein Schweigen war Anklage genug.
Jessie sah ihn an. Er schaute beharrlich in die andere Richtung. »Was ist?«
Er antwortete, ohne sich nach ihr umzudrehen. »Ich habe nichts gesagt, Ma’am.«
»Genau das meine ich ja«, gab sie zurück und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Fühlte den widerlichen Belag darauf. »Ich glaube, ich arbeite schon lange genug mit Ihnen zusammen, um zu merken, wenn Sie in irgendeiner Art und Weise enttäuscht von mir sind.«
Jetzt endlich drehte er sich zu ihr um. »Was Sie in Ihrer Freizeit machen, geht mich nichts an. Solange Sie bei der Arbeit voll einsatzfähig sind, soll’s mir recht sein. Ma’am.« Schon wandte er den Kopf wieder ab.
Jessie hingegen starrte nach vorn auf die mächtige Eingangstür des Hauses von Michael Sloane. Öffne dich endlich , beschwor sie sie im Stillen.
Die beiden hatten den Sloanes tags zuvor kurz vor Feierabend einen Besuch abgestattet. Nachdem Deepak per Telefon die Information über den Halter des geheimnisvollen Fahrzeugs bekommen hatte, waren die Sloanes auf ihrer Liste der Personen von besonderem polizeilichem Interesse ganz nach oben gewandert. Als sie am frühen Abend vor dem Anwesen der Sloanes gehalten hatten, war ihnen fast die Luft weggeblieben. Das Haus, das zwischen Ipswich und Woodbridge in Playford stand, war ein gigantischer Prachtbau aus dem sechzehnten Jahrhundert.
Jessie hatte vor dem Tor gestanden und in die Gegensprechanlage gesprochen. Die Stimme am anderen Ende hatte versucht sie abzuwimmeln, doch sie war hartnäckig geblieben, und schließlich hatte man sie eingelassen. Sie waren am Torhaus vorbei über eine kleine Brücke zum Haupteingang des Anwesens gegangen und hatten versucht, so zu tun, als wären sie von ihrer imposanten Umgebung nicht eingeschüchtert. An der Tür hatten sie ihre Dienstausweise vorgezeigt und erklärt, dass sie gern mit Michael Sloane sprechen würden, und vom Hausmädchen die Auskunft erhalten, dass dieser unterwegs sei und diesen Abend nicht mehr zurückerwartet werde. Auf ihre Frage nach seiner voraussichtlichen Rückkehr hatte Jessie lediglich ein Schulterzucken geerntet. Also hatten sie Sloane die Nachricht hinterlassen, er solle sich umgehend bei ihnen melden, und waren wieder abgezogen.
So viel dazu.
Den Rest des Abends hatte Jessie dann in Gesellschaft einer Flasche verbracht.
Deepak hingegen war fleißig gewesen. Er hatte auf dem Revier angerufen und Michael Sloane überprüfen lassen. Dadurch hatte er zum Beispiel herausgefunden, dass Sloane der Besitzer eines der größten industriellen Landwirtschaftsbetriebe im Osten Englands war und zahlreiche Handelsbeziehungen zum Kontinent pflegte. Ein äußerst wohlhabender Geschäftsmann mit exzellenten Kontakten. Im Gespräch mit ihm würden sie behutsam vorgehen müssen.
»Na toll, das hat uns gerade noch gefehlt«, hatte Jessie gestöhnt. »Dass einer der Golffreunde vom Chief Constable in den Fall verwickelt ist. Wir müssen uns jeden Schritt gut überlegen, Deepak, alter Knabe, sonst tragen wir zwei bald wieder Uniform und regeln den Verkehr.«
»Wir wissen doch gar nicht, ob er den Chief Constable kennt«, hatte Deepak eingewandt.
»Stimmt, das wissen wir nicht. Aber bis wir es wissen, gehen wir besser davon aus.«
»Da war noch eine Sache«, hatte Deepak hinzugefügt. »Mehrere, um genau zu sein.«
Jessie hatte ihn abwartend angesehen.
»Ich weiß nicht, ob Sie sich noch daran erinnern können, aber vor einigen Jahren waren die Sloanes mal wegen eines Mordes in den Schlagzeilen. Ihr Vater hatte wieder geheiratet, und ihr neuer Stiefbruder hat ein Jagdgewehr genommen und versucht, die ganze Familie zu erschießen.«
»Ah. Die Sloanes.«
»Ganz genau. Michael und seine Schwester haben überlebt, aber sie waren lange in ärztlicher Behandlung. Sie haben den Familienbetrieb übernommen und auf den Kontinent expandiert, sich aber zur selben Zeit immer weiter aus der Öffentlichkeit
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