Jäger der Nacht (German Edition)
durfte sie nicht. Noch nicht. Wenn sie den Rat an die Katzen verriet, dann verriet sie damit auch ihre Loyalität zu den Medialen, selbst wenn sie keine genauen Informationen weitergab. Und die Medialen waren schließlich ihre Rasse. Sie verstanden, wer sie war, was sie tun konnte und welchen Preis sie dafür zahlte. Sie wurde mehr als respektiert. Shoshannas Besuch konnte ein Hinweis darauf sein, dass sie sogar noch höher aufsteigen konnte, höher als jeder andere aus ihrem Clan.
Was wäre sie denn, wenn sie täte, was Vaughn wollte, und es schaffte, das Medialnet endgültig zu verlassen? Ein Nichts. Eine gebrochene Mediale ohne Rasse oder Familie. Sie hatte genug gesehen, um zu wissen, dass ihre angeborenen Fähigkeiten in der Welt der Menschen und Gestaltwandler nicht unbedingt geschätzt wurden. Viele spotteten über Hellsichtige. Einige gingen sogar so weit, das Ganze für Einbildung zu halten.
Natürlich hatte das alles keinerlei Bedeutung, wenn ihre Fähigkeiten ins Chaos mündeten. Wenn sie die dunklen Visionen nicht abstellen konnte, musste sie wenigstens einen Weg finden, sie im Zaum zu halten.
Vaughns Finger strichen sanft über ihre Wange und sie musste einfach reagieren. „Ja?“
„Wir sind da.“
Sie spürte immer noch die Berührung auf ihrer Haut, als sie die Augenbinde abnahm, und ihre gerade erst getroffene Entscheidung, wieder Gewalt über ihren Körper und Geist zu erlangen, drohte schon wieder umgestoßen zu werden.
Es war gefährlich, etwas zu fühlen, Gefühle konnten sie an den Rand des Zusammenbruchs treiben, aber dennoch spürte sie die starke Versuchung, sich auf jeder nur möglichen Ebene mit Vaughn zu verbinden – körperlich, geistig und seelisch. Denn wenn sie die dunkle Seite ihrer Fähigkeiten unter Kontrolle bekommen und ihr normales Leben wieder aufnehmen würde, müsste sie den Rest ihres Lebens ohne den Jaguar verbringen, der sie auf einer sinnlichen Ebene so anzog, sie dazu brachte, ihren Ängsten ins Gesicht zu sehen, und bei dem sie sich ganz einfach lebendig fühlte.
Sie legte die Augenbinde auf das Armaturenbrett, stieg aus und schlug die Tür zu. Vaughn stand schon auf der beleuchteten Veranda und sprach mit Sascha. Faith konnte Lucas nirgends entdecken, nahm aber an, dass er in der Nähe war – das Alphatier schien um den Schutz seiner Frau besorgt zu sein. Sie fragte sich, ob der Rat wohl mehr getan hatte, als nur einen Bann über Sascha auszusprechen.
„Hallo, Faith.“ Sascha lächelte und deutete auf den Stuhl neben sich.
„Hallo.“ Faith nahm Platz, sah aber Vaughn nicht an. Schon seine Gegenwart verlangte ihr so viel ab, und sie wusste immer noch nicht, welche Antwort sie ihm geben sollte.
„Ich bleibe in der Nähe.“ Vaughn ging um die Ecke, und obwohl es unmöglich war, meinte sie zu spüren, wie er sich verwandelte.
„Wo ist Lucas?“, fragte Faith und unterdrückte das Bedürfnis, Vaughn hinterherzuschleichen, um ihn noch einmal als Jaguar zu sehen. Sie fand ihn in jeder Gestalt schön, er war ein umwerfender starker Mann und sie sehnte sich danach, ihn zu streicheln. Wenn er ein Jaguar war, konnte sie es vor sich selbst eher rechtfertigen, denn dann konnte sie sich sagen, es sei nicht dasselbe, wie mit den Fingern über die Haut eines Mannes zu gleiten. Aber abgesehen davon, dass sie nicht wusste, wofür sie sich entscheiden sollte, war sie nicht sicher, ob sie nicht daran zerbrechen würde, ganz egal, wen von beiden sie nun streichelte.
„Mein Mann hat etwas Geschäftliches zu erledigen.“
Diese unerwartete Aussage erregte Faiths Aufmerksamkeit. „Er hat Sie allein herkommen lassen?“
Sascha warf ihren Zopf nach hinten. „Ich bin eine Kardinale mit bemerkenswerten Fähigkeiten. Warum glauben alle, ich bräuchte einen Aufpasser?“
„Ich wollte Sie nicht beleidigen.“
„Ich bin nicht beleidigt.“ Sascha schüttelte den Kopf. „Sie haben ja recht. Die Männer im DarkRiver-Rudel sind ungemein besitzergreifend und beschützend. Aber man darf dem nicht nachgeben – wenn es nicht in einem Desaster enden soll, muss man klar Stellung beziehen.“
Faith fand es interessant, etwas über Vaughns Welt zu erfahren. „Warum?“
„Katzen sind wie alle Raubtiere körperlich und gefühlsmäßig sehr stark. Wenn sie nicht das gleiche – wie soll ich es nenne n? – Feedback von ihren Partnerinnen bekommen, werden sie äußerst aggressiv.“ Sascha zuckte mit den Schultern. „Sie versuchen einen zu dominieren, aber eine schwache
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