Jäger der Nacht (German Edition)
angestellt wurde, für abscheulich gehalten, für einen grundsätzlichen Vertrauensbruch zwischen Erwachsenen und Kindern. „Was hält sie noch davon ab?“
„Sie befürchten, sie könnten potenzielle geistige Fähigkeiten zerstören.“ Faiths Augen waren ein undurchdringliches Sternenfeld. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie diese Möglichkeit negieren können.“
Sascha war sich da nicht so sicher. „Silentium war auch erst eine theoretische Überlegung.“ In den vergangenen Monaten hatte sie viel über die Geschichte ihrer Rasse herausgefunden und den meisten Erfolg hatte sie auf einem sehr ungewöhnlichen Weg gehabt – sie hatte sich in den Bibliotheken der Menschen umgeschaut.
Bei ihren Fischzügen in diesen Bibliotheken, die Mediale gemeinhin für altmodisch und ineffizient hielten, hatte sie handschriftliche Aufzeichnungen und Dokumente über die Anfänge von Silentium gefunden. Über die wirklichen Anfänge. Es hatte nicht erst 1979 begonnen – Enrique hatte sich geirrt, sein „Tribut“ – die exakt neunundsiebzig Schnitte, die er jedem seiner Opfer zugefügt hatte – hatte auf einem Irrtum beruht. Und nur die Mitglieder ihrer neuen blutrünstigen Familie hätten wohl verstanden, warum Sascha sich drüber freute.
„Ich dachte, Silentium wäre vom Rat in Zusammenarbeit mit den bekanntesten medialen Forschern eingeführt worden.“ Faiths Stimme holte Sascha aus den furchtbaren Erinnerungen zurück.
„Nein“, antwortete sie. „Den Anstoß dazu hat ursprünglich eine Art Sekte namens Mercury gegeben.“
Niemand hatte die Sekte damals ernst genommen. Doch zwei Jahrzehnte nach der ersten Veröffentlichung ihrer Ideen hatte die Mercury-Sekte der Öffentlichkeit die ersten erfolgreichen Produkte präsentiert. Die Versuchspersonen waren zwar noch Teenager und ihre Konditionierung war keineswegs stabil, aber das reichte aus, um die Leute zum Umdenken zu bringen. Die breite Mehrheit hielt Mercury von da an nicht mehr für eine Sekte, sondern für die Vordenker einer besseren Zukunft.
Hundert Jahre später waren sie zu einer Gruppe von Visionären geworden, waren die Retter der Medialen. „Der erste Rat, der Silentium befürwortete, bestand hauptsächlich aus Gefolgsleuten von Mercury. Zwei von ihnen hatten die Beta-Version des Programms durchlaufen.“
„Sascha?“
Aufgeschreckt aus den schmerzlichen Gedanken über den hohen Preis, den Silentium gefordert hatte, wandte sich Sascha wieder Faith zu. Faith hatte die Hand ausgestreckt, die Bewegung aber nicht zu Ende geführt. „Du musst vorsichtig sein“, sagte Sascha sanft. Sie wollte die Zwangsjacke des Programms nicht verstärken, aber solange sich Faith noch im Medialnet befand, musste auch sie auf der Hut sein.
Faith schloss ihre Finger zu Fäusten und steckte sie unter ihre Oberschenkel. „Ich verändere mich, Sascha. Ich kämpfe dagegen an, aber es passiert auf einer Ebene, auf der ich es nicht verhindern kann. Und ich weiß nicht, ob das gut ist.“
„Warum sollte es nicht gut sein?“
„Ich bin eine V-Mediale, sehr geschätzt und geschützt in unserer Rasse. Draußen bin ich ein Nichts.“
„Das stimmt nicht.“ Sascha versuchte, mit ihren empathischen Fähigkeiten, den Schmerz in Faith zu lindern. Ein Schmerz, der sich wie ein Stein auf ihre eigene Seele legte. „Wenn Sie lernen, wie Sie Ihre Fähigkeiten anders nutzen können, werden Sie auch hier Anerkennung finden. Stellen Sie sich vor, Sie könnten vor Katastrophen und Gewalt warnen. Wie viele Leben könnten Sie dann retten.“
Faith wandte den Blick ab. Sie wollte die andere Seite dieser Medaille nicht sehen, wollte nicht über die Toten nachdenken, die jeder Hellsichtige auf dem Gewissen hatte, der den einfacheren Weg gewählt hatte. So wie sie. „Haben Sie irgendeine Idee, warum die normalen Abwehrschilde versagen? Sie sollten dazu dienen, V-Mediale während ihrer Visionen zu schützen, aber sie sind nutzlos gegen die Dunkelheit.“
Nur Vaughn konnte sie schützen, und sie fragte sich, warum es ihn überhaupt kümmerte. Denn wenn sich die Hellsichtigen nicht ins Silentium zurückgezogen hätten, wäre seine Schwester vielleicht auch noch am Leben.
14
„Was fühlen Sie während dieser Visionen?“, fragte Sascha. Anders als Vaughn zwang sie Faith nicht, sich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Es kann uns niemand hören.“
„Nur eine Katze mit ausgezeichneten Ohren.“ Faith konnte Vaughn nicht sehen, aber sie wusste, dass er dort draußen
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