Jäger der Nacht
– vom salzigen Wind aufgeblähte Segel, ächzende Masten, straff gespannte Takelage –, wie es einem Hafen am anderen Ende der Welt durch das Wasser entgegenpflügt. Er konnte sich buchstäblich sehen, wie er bäuchlings auf dem Bugspriet lag, Delphine und Fliegende Fische beobachtend, während das Schiff eine Ladung Zimt und Elfenbein von Sansibar heimbrachte. Nach der Ankunft würde er sich seinen Seesack über die Schulter werfen, sich durch das geschäftige Treiben beim Löschen der Ladung seinen Weg bahnen und seine Schritte in Richtung der Hafenbars lenken, um in einer der Kneipen dort mit der übrigen Mannschaft ausgiebig einen zu heben. Er würde ein Mann sein, ein Mann unter Männern.
Aber nun war die Landungsbrücke gesperrt und augenscheinlich verwaist. Eine Laufplanke führte von der Seite des Schiffes auf die Landungsbrücke. Wenn er auf die Landungsbrücke gelangen könnte, könnte er auf das Schiff rauf. Aber es schien keine Möglichkeit zu geben. Dann sah er eine einzelne Gestalt um die andere Seite der Landungsbrücke herumgehen und in der Frachthalle verschwinden. Er zögerte einen Moment und schlenderte dann die Straße entlang, bis er zu der Stelle kam, wo der Mann verschwunden war. Er entdeckte einen kleinen, lose zusammengehämmerten Bretterzaun. Er schob die Latten zur Seite und spähte auf den Fluß und die Seitenmauer der Frachthalle. Knapp entfernt gab es eine Lücke in der Mauer. Er setzte einen Fuß auf einen Pfahl, der tief im Wasser steckte, schwang sich in die Mauerlücke und stand im Innern der riesigen Frachthalle. Er blinzelte und versuchte, seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Am anderen Ende der Halle, Richtung Fluß, kamen ein paar Strahlen vom Tageslicht durch die Fenster. Hoch über seinem Kopf konnte er durch Dachluken Licht schimmern sehen; aber das Licht schien sich in der weiten Leere der Halle zu verlieren.
Er fühlte seine Schritte auf dem ungehobelten Holzboden, als er langsam voranging. Er sah sich suchend nach dem anderen Typ um, den er in die Halle hatte gehen sehen, aber er konnte lediglich das Echo seiner eigenen Schritte hören. Er ging quer durch die Halle zur anderen Seite, in der Hoffnung, einen Durchlaß zur Laufplanke zu finden, um auf das Schiff zu gelangen. Aber nach ein paar zögernden Schritten hielt er inne. Am Ende der Halle bewegten sich Gestalten, die sich gegen die Strahlen des Tageslichts abzeichneten. Zwei. Vielleicht drei. Er war sich nicht sicher. Alles, was er erkannte, war, daß Menschen in der Halle waren, doch er wußte nicht, was sie machten. Er fühlte Angst in sich hochsteigen, als er Schritte und ein kaum vernehmbares Gemurmel hörte, das aus einem Verschlag dicht hinter ihm kam. Mehr Menschen.
Er ging wieder weiter, tiefer in die Finsternis hinein. Er fühlte sich von den Geheimnissen der Halle ebenso angezogen wie von der Mirabelle. Die Aufregung machte ihn kribbelig, ließ sein Herz stärker klopfen, fuhr ihm in den Bauch, in die Lenden. Er merkte, daß er auf einen Pfeiler zuging, der dicht vor ihm auftauchte. Als er an ihm vorbeiging, schienen aus dem einen Pfeiler zwei zu werden. Die eine Hälfte rückte näher, und er fühlte den Druck einer Hand in seinem Schritt. Kevin schreckte zurück, aber er fühlte, wie sein Glied zu einer Erektion anschwoll. Die Hand berührte wieder seinen Schritt, entdeckte seine Erregung. Kevin zog sich zurück, aber die Gestalt glitt neben ihm einher wie ein Gespenst auf Beutezug.
«Laß mich in Ruhe!» flüsterte Kevin.
«Was ist los?» Die Stimme war tief, männlich und wirkte auf Kevin unerklärlich erregend.
«Nichts... nur...»
Die Gestalt neben ihm wirkte wuchtig, aber die erforschende Hand war sanft. «Du bist geil aufs Rummachen, was?»
Kevin zuckte zurück und legte seine Hände beschützend auf seinen Schritt.
«Schüchtern?» Die Stimme klang nun abstoßend. «Hier muß man nicht schüchtern sein.»
«Ich versuch’ nur, zum Schiff zu kommen.»
«Sieh an, das ist mal ‘ne neue Ausrede.»
«Das ist aber wahr!»
«Schon gut. Schon gut, aber auf deinem Weg dahin verdien dir ‘nen Zehner fürs Hosen runterlassen.»
«Zehn...?»
«Zwanzig, wenn du nicht kleinlich bist.»
«Zwanzig was... ?»
Pause. Dann ein Seufzen. «Sag mal, warst du etwa noch nie hier?»
«Nein.»
«Mein Gott, eine Jungfrau!» Der Mann kicherte. «Mit einem Stän‐
der.»
«Ich hab’ keinen Ständer.» Kevin fühlte, wie Panik in ihm hochstieg. «Ich werde meine Hose nicht runterlassen. Nicht
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