Jäger der Nacht
sein Intimstes erforschten und seine geschlechtliche Sehnsucht offenbarten, die ihm bisher kaum bewußt gewesen war. Erst einmal geschürt, pochte diese Sehnsucht wie ein Schmerz. Er wollte wieder dahin zurückgehen. Er wollte den Mann mit der schrillen Südstaaten‐Stimme wiedertreffen, seine Arme ganz eng um sich fühlen. Warum hatte er sich gefürchtet? Warum hatte er sich abgewandt? Nun wünschte er, daß er es nicht getan hätte. Er vermutete, daß Dennis sich nie abwandte. Denn Dennis hatte eine Windjacke.
Als Kevin von der Hafenstraße nach Hause kam, fand er Dennis auf der Vortreppe des Hauses sitzend vor. Er trug seine Windjacke und starrte auf die Fahrbahn. Er hatte seine Schultern hochgezogen und sah sehr zerbrechlich aus. Kevin konnte gedämpfte Stimmen hören, die aus dem Haus kamen.
«Was’n los?»
Dennis zuckte mit den Schultern. «Ich glaub’, die haben den ganzen Tag gesoffen.»
«Mutti und Jake?»
«Ja.»
Die Stimmen im Haus wurden lauter, und dann gab’s einen Knall.
«Mutti könnte was passiert sein.» Kevin machte einen Schritt auf die Haustür zu.
«Vielleicht gefällt’s ihr.»
«Von ihm?»
«Sie geht doch mit ihm ins Bett, oder?» Wieder ein Knall.
«Ich geh’ rein», sagte Kevin.
«Was geht’s dich an? Das ist ihr Kampf.»
Aber Kevin öffnete die Haustür und ging rein.
Jake und Millie waren in der Küche und schrien sich an. Jakes Gesicht war nahezu lila angelaufen, seine Halsadern standen hervor. «Du dämliche Hure!»
Millie – Haar wirr ins Gesicht hängend, stierer Blick – schwang einen Tontopf überm Kopf. «Und ich schlag’ dir’n Schädel ein, kapiert?»
«Versuch’s, und ich brech’ dir deinen dreckigen Hals!» Der Topf kam durch die Küche geflogen, weit an Jake vorbei, aber Kevin mußte sich ducken, als das Ding gegen die Wand krachte und er von Scherben übersät wurde. «Aber Mutti...»
Ihre Augen machten Kevin ausfindig. «Was machste hier?»
«Mutti... beruhige dich...»
«Beruhigen, du Arsch! Warum kommste überhaupt hier her? Will dich hier nicht haben. Nichts als ‘ne dreckige Tunte...»
Jake torkelte auf sie zu. «Halt deinen dummen Mund, Millie!»
«Was ich gesagt habe!» Ihre Stimme war ein Kreischen. «Nichts als ‘ne dreckige Tunte!»
Jake schlug ihr mit der offenen Hand voll ins Gesicht. Sie wand sich zurück wie ein in die Enge getriebenes Tier, mit starrem Blick und zischend. «Klar, und du bist auch so einer!»
Noch ein Schlag. Millie sackte zusammen.
Kevin traten Tränen in die Augen. «Jake... nicht...!»
Jakes Stimme war leise und merkwürdig verhalten. «Ab, Kleiner.
Raus hier. Nichts für deine Augen.» Kevin zögerte.
Millie kroch auf dem Fußboden rum und kreischte: «Raus hier, Tunte!»
Kevin machte auf dem Absatz kehrt und flüchtete.
Er setzte sich draußen auf die Treppe neben Dennis. «Jesus!» Dennis blickte unverwandt auf die Fahrbahn. «Meine Pflegeeltern drüben in der Rowland Street haben’s genauso getrieben. Das Einkaufsgeld versoffen, das Geld für Kleidung, sogar die Miete. Scheiße. Ich hab’ gelernt, zurechtzukommen.»
«Wie?»
Dennis sah Kevin mit gesenktem Blick unter seinen Wuschelhaaren an. Er seufzte. «Ich glaub’, du wirst es wissen müssen.» Kevin fühlte Beklemmung aufsteigen. «Ja? Was werde ich wissen müssen?»
«Wie man zu Geld kommt.»
«Wie?»
Dennis schüttelte seinen Kopf. «Jessas, du bist wohl wirklich völlig hinterm Mond, was?»
«Ich klau’ nicht, wenn es das ist, waste meinst.»
«Wer muß stehlen? Sie schenken’s dir, Alter, schenken es dir.»
Kevin lief es eiskalt über den Rücken. «Wer schenkt es dir, und wofür?»
«Zeig’ ich dir, irgendwann mal.»
«Wann?»
«Irgendwann.» Dennis rutschte unbehaglich hin und her. «Es hilft, wenn du einen gekippt hast.»
Bevor er in jener Nacht einschlief, dachte Kevin darüber nach, was Dennis gesagt hatte. Dann glitten seine Gedanken zu der Frachthalle zurück. Er konnte nahezu die Hand auf seinem Schritt spüren, und die Arme, die ihn gehalten hatten, nachdem er gestürzt war. Nun, im Bett, versteifte sich sein Glied, und seine Lenden schmerzten. Aber dann quälte ihn die Erinnerung an die Stimme seiner Mutter. «Dreckige Tunte!» Dieses Schimpfwort war so total abstoßend im Gegensatz zu den zärtlichen Fantasien, die seinen Kopf durchströmten.
Die Straßenlampen und die Lichter aus den Bars waren gedämpft, und die Lastwagen und Lagerhäuser verbreiteten finstere Schatten.
Dennis schob eine Dose Bier
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